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Kommentar von Redaktionsbuero

Ganze Europäer machen „halbe-halbe“!

Soziale Verantwortung im Neuen Europa

„Ein russischer und ein ungarischer Soldat finden während eines gemeinsamen Manövers eine Tafel Schokolade. Sie haben großen Hunger. Sagt der russische Soldat feierlich: ‚Wir wollen sie brüderlich teilen.‘ – ‚Gott behüte‘, antwortet da der Ungar. ‚Teilen wir sie halbe-halbe.‘ “
Die Botschaft ist klar: Wo Solidarität nichts als eine Farce ist, wird gleiches Teilen zur einzigen praktikablen Form von Gerechtigkeit. Dieses Bild der Brüderlichkeit steht für den ungarischen Ökonomen János Mátyás Kovács symptomatisch für zwei Interpretationen von Solidarität – nämlich der östlichen und der westlichen. Dass beide Seiten unterschiedliche Erfahrungen mit Ideologien und Geschichte gemacht haben, wird in der Euphorie für das „Gemeinsame“ oft übersehen. „Die Menschen in den ehemaligen Ostblock-Ländern haben alles satt, was auch nur entfernt an Sozialismus erinnert“, hat die Osteuropa-Korrespondentin Barbara Coudenhove-Kalergi erfahren. Sie gehen damit im Grunde auf Abstand zu dem sozialen Wohlfahrtsstaat mit allen seinen Vorteilen.
Wird im kulturellen Kontext die Vielfalt gepredigt, so ist man in den Bereichen Wirtschaft und Soziales im Neuen Europa inzwischen eher um gemeinsame Standards bemüht und dennoch weit davon entfernt.
Solidarität ist gefragt, aber auch eine „Wertediskussion, die Orientierung gibt“ (Erhard Busek). Die rapiden Transformationen in den ehemals sozialistischen Ländern in den vergangenen fünfzehn Jahren bedingten den Verlust eines Mittelstandes, der eigentlich auf breiter Ebene Träger dieser Werte sein könnte. Solidarität bedeutet nicht nur Verständnis, sondern auch konkrete Investitionen, auf intellektueller wie finanzieller Ebene. Dazu Kovács: „Eines ist sicher: Leute, die meinen, das Konzept europäischer Solidarität sei zweideutig und werde überstrapaziert, reden gerne über sie.“ Dass Reden allein nicht ausreicht, versuchen wir in dieser Ausgabe zu zeigen. Franz Küberl (Caritas), Christoph Badelt (Wirtschaftsuniversität Wien) oder Hans Peter Haselsteiner (Unternehmer) sprechen in dieser Ausgabe über Möglichkeiten der Veränderung, zu der sie längst tatkräftig beitragen. Es sind Beispiele von sozialer Verantwortung in ihrem jeweiligen Rahmen der Möglichkeiten. Soziale Gerechtigkeit sollte globalisiert werden – beginnen wir in Europa.

Herzlichst
Ihr Redaktionsbuero
Manuela Hötzl, Antje Mayer



Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Juni 2004
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