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Kommentar von Antje Mayer

Der 11. September 2001

Liebe Freunde des Redaktionsbuero,

geht es Euch auch so? Seit dem Schwarzen Dienstag, dem Tag der Terrorattacken auf die USA, sind wir wie gelähmt. Während wir unsere tägliche Arbeit verrichten: Besprechungen abhalten zu unseren drei neuen Buchprojekten, die im Frühjahr nächsten Jahres erscheinen sollen, Interviews führen, wie die Wilden recherchieren, Artikel u.a. für FORMAT, KUNSTZEITUNG, WOHNEN, VOGUE, ARCHITEKTUR AKTUELL schreiben, den Aufbau einer REDAKTIONSBUERO-ZWEIGSTELLE IN MOSKAU organisieren oder uns über unsere geplante Webzeitung den Kopf zerbrechen, klicken wir uns fast viertelstündlich ins Internet und drehen jede halbe Stunde das Radio zum Nachrichtenhören laut.

Explodieren sie schon die Vergeltungsbombe der Terroristen? Gibt es Tote?
Stehen wir vor einem Dritten Weltkrieg? Steuern wir einem Polizeistaat mit rüden Überwachungsmethoden entgegen?

Dann stundenlanges Durchblättern irgendwelcher Feuilletons. Selten fanden wir die Kulturteile der Zeitungen so interessant, selten hat man über die Auswirkung der Globalisierung, die Rolle der Medien, die Wirkung von Bildern oder das Phänomen Gewalt eine so konzentriert differenzierte Auseinandersetzung mitverfolgen können.

Unbedingt erwähnenswert erscheint uns ein Essay von Hans Magnus Enzensberger jüngst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, besonders dessen Einleitung:
Dort führt jener an, dass es naiv sei, das Globalisierungs-problem auf weltweite Finanz- und Wissensströme zu reduzieren und zu meinen, nur ein paar "Zukurzgekommene" würden dabei die Nachteile zu spüren bekommen.

Die negativen Folgen der Globalisierung würden doch vielmehr längst alle betreffen: Computerviren, Aids, Klimakatas-trophen, Bürgerkriege und eben auch der Terrorismus seien die Schattenseiten des weltweiten Agierens. Da es in der globalen Welt nichts gebe, was außerhalb ihrer läge, könne man auch nicht davon sprechen, dass die Terrorattacken von außen gekommen seien. Vielmehr sei der Terror ein systemimmanentes Phänomen. Die Terrorattacken waren kein Angriff auf die zivilisierte Welt, so Enzensberger, sondern im Grunde eine Attacke der globalen Welt gegen sich selbst. Wie bei einer von Krebs befallenen Zelle brächte die Globalisierung Retroviren hervor, die sich der Mittel des Gegners bedienten.

Die schreckliche "mediale Supershow" der Terroristen am 11. September waren mit den Waffen und Mitteln des Gegners geführt. CNN bekam -welche Ironie, ausgerechnet von den radikalsten Bilderstürmern- die spektakulärsten Bilder aller Zeiten geliefert. Selbst Hollywood, die größte Bilderfabrik der Welt, wurde in den Schatten gestellt. 18 Minuten Live-Sendezeit für den Terrorismus, weltweit, global. Ein medialer Globalsieg globalisierter Terroristen.

Seit diesem Schwarzen Dienstag ist uns als Journalistinnen wieder deutlich vor Augen geführt worden, dass unsere medialen Werkzeuge zu zerstörerischen Waffen mutieren können. Das entspricht der inneren Logik der Globalisierung.
Mag zum Beispiel das österreichische Magazin NEWS meinen, es könne verantworten, tote, zerquetschte Kinder nach einem Busunglück zu zeigen, so unterliegt es einem Irrtum. Die Entscheidung über eine "gute" oder "schlechte" Art und Weise der Publikation ist in einer globalen Welt nicht mehr zu fällen. In einer global agierenden Gesellschaft werden sie auf alle Fälle verwandt, das "Wie" wird nicht reglementiert. Das "Nicht-Reglementieren von Warenaustausch" ist dem freien Markt ja immanent.
Sie hätten demnach erst gar nicht gemacht werden sollen. Wenn keine Waren existieren, gibt es auch keinen Austausch.

Auch Informationen sind Waren. Unter den Deckmantel des "menschlichen Rechtes auf Information" werden sie unablässig produziert und natürlich unermüdlich getauscht, das "Wie" wird nicht beschränkt. Sie im Zweifelfalle gar nicht erst zu produzieren, heißt das Gebot der Stunde. Niemand kann ernsthaft noch daran glauben, dass ein Moralkodex oder Datenschutz den globalen Tausch von Informationen beschränkt. Wenn sie hergestellt sind, werden sie früher oder später im Umlauf gebracht, wenn dafür auch nur die geringste Nachfrage besteht. Das gilt genauso für persönliche Informationen, die man nun im Zuge der "verstärkten Terrorismusbekämpfung" über jeden einholen wird. Die Ware "persönliche Information" wird getauscht, darauf ist Gift zu nehmen, von den "Guten" und selbstredend auch von den "Bösen". Das "Wie" wird nicht zu regeln sein. Schon ein Regierungswechsel kann das "Wie" von einem Tag zum anderen eine völlig andere Perspektive geben.

Es ist naiv anzunehmen, man könne jetzt einen moralischen "guten" Weltkrieg (auch Kriege sind heutzutage zwangsläufig global, also "Weltkriege") unter Einsatz tödlicher Waffen gegen die "schlechten" Terroristen starten.
(Medien-)Kriege, Todesstrafe und Waffen sind Ware, solange sie in die Welt gesetzt werden, werden sie ausgetauscht. An einen globalen Moralismus oder einen globalen Ehrenkodex zu glauben, wie man es in den Neunzigern tat, als man von einem idyllischen friedlichem "Global Village" träumte, dem globalen Dorf, in dem sich die ganze Welt im Internet oder per Videokonferenz lieb beim vertrautem "Du" am virtuellen Marktplatzbrunnen trifft, hat sich wohl spätestens seit dem 11.September als naiver Traum entpuppt.

Am Rande sei erwähnt, dass auf den Tag genau drei Monate (am 11.6.2001) vor der öffentlichen Simultan-Exekution tausender Menschen in New York City und Washington durch die Terroristen, die zivilisierte Welt den Oklahoma-Attentäter Timothy McVeigh (33) mit einer Giftspritze tötete. Über 700 Männer und sechs Frauen wurden seit 1976 in den USA hingerichtet. Eine öffentliche Übertragung, die folgerichtig (s.o.) der USA-Hasser McVeigh selbst befürwortete, wurde von den Gerichten zwar gerade noch verhindert.
Dennoch sahen rund 300 Überlebende und Angehörige von Opfern des Anschlags die Übertragung auf einer Leinwand. Im Nebenraum der Hinrichtungszelle waren im übrigen zehn ausgewählte Medienvertreter anwesend.



erschienen auf webpage redaktionsbuero, Sept.01