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Kommentar von Urška P. Černe

„Wieso sind nicht alle europäischen Sprachen als Sprachen der EU anerkannt?“

"Nationale Vielfalt" nichts als eine leere Versprechung?

Die slowenische Übersetzerin Urška P. Černe meint, dass die „Erhaltung nationaler und regionaler Vielfalt“ bislang nur Schlagworte geblieben sind. Ein Kommentar.

„Europa sollte sich unter den Schutz des heiligen Hieronymus stellen, des Schutzpatrons der Übersetzer und Dolmetscher … im Bereich Sprachen, der buchstäblich jedes Land angeht, hat Europa eine Gemeinschaftsaufgabe.“

Ich will nicht verhehlen, dass ich gegenüber einer gemeinsamen europäischen Identität noch Skepsis hege. Ich bin zudem verhalten, weil die Sprache an sich im kognitiven Sinn nichts Kollektives ist – es bleibt unergründlich, was jedem Einzelnen den Zugang zur Sprache ermöglicht.

Wir ideologisch unterschiedlich gebauten und schließlich doch gleichgeschalteten Völker im Osten, Westen, Süden, Norden Europas erlebten eine vielleicht nicht gleiche, aber doch ähnliche weltanschauliche Sozialisation – letztendlich mithilfe von Übersetzungen. Ich war 26 Jahre alt, als ich Hofmannsthals „Brief des Lord Chandos“ ins Slowenische übersetzte. Diese Literatur hat meine Gefühlswelt bestimmt und mir vor allem zu einer Einsicht verholfen: Sprache ist nicht unbedingt ein Transportmittel der Wahrheit. Sofern die „Wahrheit“ unserer Spezies überhaupt zumutbar wäre.

Aber wie neugierig, zuvorkommend und aufgeschlossen müssen wir Europäer letztendlich doch sein, dass wir die eine „Wahrheit“ in der Sprache immer wieder aufspüren wollen, dass wir trotz allem vorbestimmten Scheitern immer wieder so viel übersetzen. Wir müssen geradezu von einem Glauben getrieben sein, der uns das Chaotische der Sprache, das Nicht-Seiende der Wahrheit vergessen lässt.

Übersetzer – jene mühselige Berufung erfüllend – haben ihren christlichen Schutzpatron in der Gestalt des heiligen Hieronymus gefunden. Auch andere Ahnherren könnten gut herhalten: Cicero, Luther oder Schleiermacher. Sie alle hatten zu ihrer Zeit für ihre Sprache, für die Freiheit der Übersetzung, also um ihre Ehre gekämpft. Ungefähr so, wie (literarische) Übersetzer heutzutage immer noch dafür streiten müssen, öffentlich überhaupt erwähnt zu werden. Finnland scheint eine löbliche Ausnahme zu bilden: Dort sind die Arbeitsbedingungen angemessen und das Ansehen von Literaturübersetzern entsprechend.

Was genau ist gemeint, wenn wir von Europa reden? Ist das ein Sammelbegriff für viele Länder und Staaten, Regionen und Landschaften innerhalb einer bestimmten Geografie? Oder ist es jenes pragmatische und gewinnorientierte Staatengebilde EU, von dem wir alle noch so wenig wissen? Ich bin zu der Einsicht gekommen, dass eine „europäische Identität“ erst langsam im Entstehen begriffen ist – wenn man von einer Unionsbürgerschaft spricht. Die EU hat noch große Schwierigkeiten mit sich selbst, mit dem Aufbau ihrer Strukturen, Institutionen und Programme. Begriffe wie „Nachhaltigkeit“ oder „Zusammenwachsen“ blieben bislang Schlagwörter, die noch nicht konkret definiert, geschweige denn realisiert wurden. Die Europäische Gemeinschaft hat in ihrer Rechtsgrundlage in dem Entwurf zu einem Verfassungsvertrag folgende Textstelle verfasst (Artikel 151 Absatz 1 EGV):

„Die Gemeinschaft leistet einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes.“

Auf dem Papier ist vieles schön geregelt. Doch das schwerfällige politisch-juristische Prozedere, das den Alltag der EU im kulturellen Bereich bestimmt, bietet keinen Grund zur Freude, es ist vielmehr ein Anstoß, mehr von sich selbst und weniger von der EU zu erwarten. Also mehr Eigenleistung, selbst erbrachte Ideen, Organisationen. Verzicht auf „Infusionen“ aus öffentlichen Kassen.

Und die EU-Sprache(n)? Schließlich ist die Frage bis heute noch nicht beantwortet, wieso nicht alle europäischen Sprachen als „Sprachen der EU“ anerkannt worden sind. Warum nur die größten? Der Grund scheint offensichtlich: Die Frage des Sprachproblems wird eng an die finanziellen Möglichkeiten zur Lösung derselben gekoppelt.

Oder ist das angeblich fehlende Geld doch nur eine nahe liegende Ausrede? Vor einem Monat wurde in Slowenien eine Debatte um die Stellung der slowenischen Sprache innerhalb der EU vom Zaun gebrochen. Die Bücherei in Tolmin hatte sich erfolgreich bei einer Phare-Ausschreibung beworben. Nun sollte der Direktor Viljem Leban den benötigten Leistungsanspruch von 50.000 Euro auf Englisch verfassen und der zuständigen slowenischen Mittlerinstitution zustellen. Er weigerte sich, denn seiner Meinung nach sollte der Briefverkehr zwischen zwei slowenischen Institutionen auf Slowenisch erfolgen. Schließlich verlangte nicht eine EU-Institution das Schreiben auf Englisch, sondern die slowenische Agentur. Am Ende gewann Herr Leban den Kampf mit Unterstützung des Slowenischen Schriftstellerverbands.

Was können Übersetzer von der EU erwarten? Sprache und Übersetzung als europäische Gemeinschaftsaufgabe sind ins Förderprogramm Kultur 2000 eingebunden. Doch dieses Programm ermöglicht leider noch keine kontinuierliche Förderung. Bezeichnend ist die Haltung von Frau Karin Heinz, Leiterin des größten Übersetzerzentrums in Europa, des Europäischen Übersetzer-Kollegiums in Straelen (Nordrhein-Westfalen/BRD): Es gehe ihr darum, sich nicht von den EU-Geldern abhängig zu machen, denn das würde das EÜK langfristig gefährden!

Was mir weniger abstrakt erscheint als das Staatengebilde EU, ist der Begriff eines „Europa der Regionen“. Man braucht den slowenischsprachigen Hörern keinen Hubert von Goisern („Trad“) zu übersetzen. Bei seinen milden Klängen hat man augenblicklich ein Hirtlein auf einer Alm vor Augen; ob er nun ein slowenisches oder ein salzburgisches Arkadien herbeisingt, ist letztlich einerlei. Vielleicht sollten wir lernen, uns gegenseitig einfach besser zuzuhören.

Wir Übersetzer werden nicht aufgeben und weiterhin übersetzen. Ich sitze gerade über Gedichten der Österreicherin Margret Kreidl. Es freut mich, dass man in Slowenien auf fremde Poesie neugierig ist, dass ich meine Muttersprache immer wieder beleben kann und mit meiner Arbeit einen Teil zum Kulturtransfer beitrage. Das Wichtigste aber ist, dass die Slowenen österreichische Poesie letztlich nicht auf Englisch lesen müssen.



Urška P. Černeist Übersetzerin von Texten Günter Grass', H. C. Artmanns, Elfriede Jelineks, Robert Schindels u. v. a. und Literaturkritikerin. Sie lebt und arbeitet in Ljubljana. Den vorliegenden Text hat sie auf Deutsch verfasst.



Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Februar 2005
Link:REPORT online -