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Kommentar von Antje Mayer

Gib mir Deine Angst!

Der Frankfurter Bischof Dr. Walter Klaiber ist sichtlich verstört, seit er von Christoph Schlingensiefs „Church of Fear“ gehört hat. „Es hat mich nachdenklich gemacht, dass Schlingensief mit dem Begriff ‚Kirche’ arbeitet - wenn auch ins Englische verfremdet. Ist Kirche ein Raum, in den sich Menschen in Angst flüchten können?“ Nein, findet Klaiber, Angst allein sei ein schlechter Ratgeber - auch für Kirchen und Gemeinden! Apostel Paulus formulierte seine Erfahrung mit der Angst immerhin so: "Wir sind bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht." (2. Kor. 4,8). Apostel Schlingensief brüllte jedoch seinen Jüngern entgegen: „Angst ist möglich! Gib mir Deine Angst, ich mach' was Tolles draus." Elfriede Jelinek kam prompt und brachte ihm ihr Irakkrieg-Fragmente-Stück „Bambiland“. Und Schlingensief machte im Wiener Burgtheater was Tolles daraus und rief: „Österreich ist Irak, Irak ist Bambiland, Österreich ist Bambiland!“ Potzblitz. Da bibberte das Wiener Publikum vor Angst, während der Vorstellung nicht einzuschlafen. Denn man zeigte ihm einen Film und noch einen Porno auf einer großen Leinwand.
Das war wie Zuhause, wenn die Kinder schon schlafen. Nur halt schwarz-weiß. Kunst eben, Sie wissen schon. Zwischendrin wälzte sich Verkünder Schlingensief obzsessiv in Orgien- und Hysterientheater-Manier auf der Bühne hin und her. Zwischendurch probte er unverdrossen, erstaunlich relaxt, für seinen Parsifal im Sommer in Bayreuth. Das Plastikbambi sagte nichts, die anderen Darsteller im eigentlichen Sinne ebenfalls eher wenig. Niemand sang derweil noch.
Herr S., der neben mir saß und mich während der Vorstellung in eine interessante Diskussion verstrickte (Motto: Reden hilft gegen die Furcht), schwor Bein und Stein, Wortfetzen über den Irakkrieg herausgehört zu haben. Nach langer Debatte einigten wir uns darauf, dass die Burgschauspielerin Dorothee Hartinger etwas Sinngebendes ins Publikum gerufen hatte und zwar „Warum lasst Ihr Euch das gefallen?“ Eindeutig. Gänsehaut. Von der Stärke der Dialoge könnte Schlingensief sich allerdings noch hie und da etwas von Beate Uhse abschauen.
„Oder einfach was Tolles aus Elfriede Jelineks Stück machen?“ warf Herr S. schließlich ein. Herr S. und ich begossen diesen couragierten Vorschlag noch an diesem Abend sichtlich ermutigt in einer anheimelnden Kneipe. Frei nach Apostel Paulus: "Schlingensief, wir wurden von Dir bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht."



Vorführungen von „Bambiland“ noch am 23. und 24. Februar 2004 im Wiener Burgtheater.
erschienen in Kunstzeitung Nr.90/Febr.04,S.15