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Kommentar von Antje Mayer

Sex im Überfluß

Linz: Ars Electronica 2000

"Wer wird in Zukunft, mit wem, wie, Sex haben und warum?"

Über diese existenzielle Frage zerbricht man sich heuer den Kopf auf der 21. Ars Electronica "Next Sex. Sex im Zeitalter seiner reproduktionstechnischen Überflüssigkeit" (2. bis 7. September in Linz). Im Mittelpunkt der Symposien, Kunstausstellungen, Performances und Musikevents steht die „konfliktgeladene Frage“, so der Leiter Gerfried Stocker, ob die bisher gewohnten Muster von Sex, Liebe, Beziehungen sich angesichts der technologischen-medizinischen Möglichkeiten der Humanreproduktion verändern werden. Daß die Kunst eine ideale Antriebskraft für diesen gesellschaftlichen Diskurs sein kann, wie es zuversichtlich im Programm heißt, will das elitäre Event auch dieses Jahr wieder beweisen:

Die in San Francisco geborene und aufgewachsene Künstlerin Natacha Merritt, zeigt intime Fotoarbeiten aus ihren, mit der Digitalkamera aufgenommen "sexuellen Tagebüchern", den „Digital Diaries“. "Mein Leben", so die 23-Jährige, "ist ein Haufen digitaler Fotos geworden, anstelle eines Haufens schriftlich fixierter Gedanken." Voyeure können ihre virtuelle Peep-Show (mit Guckloch!) auch im Internet unter www.digital-diaries.com bestaunen.

Um "Online-Sex" geht es auch beim Italiener Sergio Messina. Mit seiner Installation "Brave New Born" zeigt er wie Porno-User, die immerhin achtzig Prozent des gesamten Web-Verkehrs verursachen, mit der virtuellen Fleischeslust umgehen.

Auch der österreichische Bühnenbildner und Fotokünstler Dieter Huber lockt mit nackter Haut - allerdings der gruseligen Art: auf Fotos mit monströs aufgeblasenen Intimzonen, mit denen Huber vor dem Menschenklonen fürchten lernen will.

Ganz real manipuliert die portugiesische "Bio-Art" - Künstlerin Marta de Menezes, in ihrer Arbeit "Natur?" die Flügel lebender Schmetterlinge. Ähnlich, ist das derzeit noch laufende Forschungsprojekte "Tissue Culture & Art(ificial) wombs" (TC&A, Australien, Israel), das Gewebestrukturen als Kunstmedium einsetzt.

Von der "Bio-Art" beeinflußt sind auch die amerikanischen Künstler Katie Egan und Joe Davis, der nebenbei auch Wissenschaftler für Molekularbiologie, Bioinformatik und Gen-Datenbanken ist. Mit einem sogenannten „Audio Microscope“ machen sie lebende Zellen hörbar. Dabei können die Besucher den extrem verstärkten „mikroakustischen Koloraturen“, soll heißen Eigengeräuschen der Zellen, lauschen.

Die amerikanische Künstlerin Kaucylia Brooke präsentiert sich derweil klassisch . Mit ihren Foto-Text-Montagen "Tit for Twat" erzählt sie die Schöpfungsgeschichte in TV-Show-Manier.

Indes: Angesichts dieser Brandbreite von Themen, die man unter das Festivalmotto "Next Sex" zu quetschten versucht hat, bleibt zu vermuten, daß es den Besuchern der Ars Electronica auch dieses Jahr wieder nicht leicht gemacht wird, auf eine gute Frage, eine klare Antwort zu bekommen.



erschienen in Kunstzeitung Nr.49/Sept.00,S.20