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Kommentar von Antje Mayer

„Die Warzen finden keine Gnade vor mir“

Toulouse-Lautrecs grafisches Werk im Leopold Museum

Mit dem Bildern von Toulose-Lautrec (1864-1901) ist es ein bisschen so wie mit denen von Gustave Klimt. Man kann sie nicht mehr sehen. Nicht weil sie schlecht wäre, oh nein, mitnichten. Lautrec war freilich einer der genialsten Zeichner und Grafiker seiner Zeit. Es ist die Wiederholung des Immergleichen. Tausendfach publiziert sind seine Werke, kopiert und gedruckt auf Postkarten, T-Shirts, Schreibblöcken, selbst auf Spielkarten. Und wer kennt sie nicht, die billigen Lautrec-Drucke in verbeulten Plastikrahmen an den Wänden kunstbeflissener, trockenbeblumter Ikeaidyllen.

Aber das soll der Freude keinen Abbruch tun, dass im Wiener Leopold Museum derzeit die Ausstellung „Toulouse-Lautrec. Das gesamte grafische Werk Sammlung Gerstenberg“ (bis 31. August) zu sehen ist, 351 Lithografien und Plakate. Die Sammlung hatte der Berliner Mathematiker und Direktor der Viktoria-Versicherung Otto Gerstenberg (1848-1935) einst zusammengetragen, neben Grafiken von Rembrandt, Dürer, Goya und oder etwa dem von Lautrec überaus bewunderten Degas.

Auf dass auch jeder Besucher daran erinnert sei, dass der kleinwüchsige, verkrüppelte Lautrec die Protagonisten des wilden Leben der Halb- und Amüsierwelt in den Monmatre-Etablissements auf Papier brachte, sind die Schauräume von Angela Hareiter, Angetraute des Museumsquartier-Architekten Laurids Ortner, wie ein Boudoir in rotem Samt mit Volants gestaltet.

Sehr sinnlich diese Präsentation, mithin ein bisschen dick aufgetragen, sind doch die ungeschminkten Charakterstudien der frivol posierenden Tänzerinnen, Schnute ziehenden Ehefrauen und lüstern gaffenden Ehemännern lebendig genug, um für sich zu stehen. Eine perfekte Dokumentation der „Belle Époque“ und eine zeitlose Dokumentation menschlicher Seins-Zustände zudem. Der dicke, rotnasige Herr mit den müden Glubschaugen erinnert verblüffend an den trotzig betrunkenen Wirt vom Ecklokal nebenan. Und würde man es nicht anders wissen, dann könnte man Stein und Bein schwören, dass diese grimmige dreinschauende, über die Logenbrüstung gebeugte Alte eigentlich die Hausmeisterin vom ersten Stock darstellt, in Überwachungspose.

Lautrec beobachte präzise und das ohne Hilfe einer ausgefeilten Phsyionomie und Perspektive. „Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, wahr zu sein und nicht idealistisch“ schrieb er 1881. „Vielleicht ist das ein Fehler, denn die Warzen finden keine Gnade vor mir; ich liebe es, sie mit mutwilligen Härchen zu verzieren, sie abzurunden und ihnen ein glänzende Spitze aufzusetzen.“

Diese „Spitzen“ konnte er sich freilich leisten. Für die durchzechten Nächte, etwa in seinem Stammlokal, das -nicht zuletzt durch ihn- unsterblich gewordene „Moulin Rouge“, überwies seine Familie aus altem französischen Hochadel regelmäßig Geld. Dort kritzelte der Unmengen an Alkohol trinkende Lautrec allabendlich mit Karton und Kohle bewaffnet Skizzen und die Vorlagen für seine berühmten bunten Plakate, Musiktitel und Programme, für die er mit der Lithografie ein angemessenes Medium fand.
In nur zehn Jahre von 1891 bis 1901 entstand Lautrecs gesamtes druckgrafisches Werk. Aber wie es so ein Leben will, mit gerade einmal 36 Jahren erlag er schließlich dem Rausch, den er so wunderbar zeichnete.



erschienen in Kunstzeitung Nr.82/ Jun.03,S.9
Leopoldmuseum -