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Kommentar von Antje Mayer

„Lieber Hermann …“

Neues Nitsch-Museum im niederösterreichischen Mistelbach eröffnet

Das „itsch“ fehlte noch bei der großen Aufschrift an der Hauswand, noch stolperte man über freiliegende Kabel, noch sägten die Bauarbeiter hektisch die letzten Bretter. Kleinigkeiten. Wenig später sprach der Architekt Johannes Kraus des Wiener Architekturbüros „archipel architektur + kommunikation“ vor der Presse stolz über die „Punktlandung“ seines Teams. Denn nach gerade mal einem knappen Jahr Bauzeit hatte er aus dem altem Gelände einer aufgelassenen Pflugfabrik in der rund 10.000 Seelen zählenden niederösterreichischen Gemeinde Mistelbach ein Museumszentrum mit über 6.000m² gezaubert, genug Platz für regionale Attraktionen wie ein Messweinarchiv und eine Niederösterreichische Malakademie und eine Hauptattraktion von internationalem Rang: das Hermann Nitsch Museum, das am 24. Mai 2007 in Anwesenheit von allem durch denkbaren Adabeis der österreichischen Kunstszene „dionysisch“ (Nitsch) mit Wein, Gesang und gutem Essen eröffnet und von nicht weniger als drei Geistlichen, einem Prälaten, einem Propst und dem Stadtpfarrer von Mistelbach, gesegnet wurde. Eine „klosterhafte Museumsanlage“ mit Glockenturm und Kapelle sei daraus geworden, freut sich der Künstler Nitsch an diesem Tag über beide bartbedeckte Ohren strahlend, „mein Theater, haargenau so wie ich es mir immer in meinem Träumen vorgestellt habe.“
„Mistelbachers Bürgermeister Christian Resch hat nach den Sternen gegriffen und ist dabei nicht abgestürzt“, raunt man sich unter den Besuchern zu, war das Projekt in der ländlichen Gemeinde doch durchaus ein Risiko, das dem „Herrn Ingenieur“ seinen Posten hätte kosten können. Immerhin wurde dem Blutschütter Nitsch bis vor kurzem noch als „Enfant terrible“ in der heimischen Presse angegriffen, von Tierschützern, Konservativen, katholischen Hardlinern, aber auch von seriösen Kunstkritikern, die ihm – teilweise durchaus zu Recht – Hang zum Kitsch und peinlichen Pathos mit nur wenig Ambition zur Weiterentwicklung vorwarfen.
Seiner Karriere als Staatskünstler scheint das nicht geschadet zu haben. Nitsch wird an jenem Freudentag nicht müde, seinem Duz-Freund NÖ - Landeshauptmann Erwin Pröll, Hauptgeldgeber für das Vorhaben, für die großzügige Spende zu danken. Dieser lässt –auffällig ängstlich über das Mikrophon blickend- wiederum keine Zweifel offen, warum er, ehrgeiziger Politiker der er ist, das Vorhaben von seinem „lieben Herrmann“ politisch und ökonomisch vertreten konnte: „Nitsch Werke haben mittlerweile internationalen Wert. Wir wollen sie im Land behalten.“
Von den „Mehrwerten“ hängen eng an eng 150 Bilder und Schüttbilder, 75 Grafiken, 80 Messgewänder, 80 Schreine, ein Dutzend Videos und rund 500 Fotografien in den neuen schlichten Hallen, dazu Relikte und Werkzeuge des Orgien-Mysterien-Theaters und das Geschmacks- und Geruchslabor in einem kapellenartigen Unterraum.
In Einzelpräsentationen vermögen die Werke eine gewissen Sakralität und stille Würde zu vermitteln, in dieser überbordenden Menge wirken sie seltsam bunt, gar schrill, oberflächlich dekorativ. Daß die Reagenzgläser des Geschmack- und Geruchlabors auf einem billigen Ikearegal der Serie „Gorm“ stehen, kann nicht Nitsch Ernst sein.
Wer je im nahem Prinzendorf, dem legendären Schaffens- und Lebensmittelpunkt von Hermann Nitsch und seiner zweiten Frau Rita war und den blutgetränkten Schüttboden unter dem Dach des Schlosses besuchen durfte, im Geschmackslabor im aufgelassenen Stall des Anwesens Proben nahm und das frische Blut der geschlachteten Tiere bei den Orgien-Mysterien Theatern roch, wird das neue Museum, das in Hinkunft übrigens Romana Schuler (ehemals im Leopold Museum tätig) leiten wird, als gezähmten Abklatsch empfinden, der vom Anspruch eines Gesamtkunstwerks, wie ihn Nitsch propagiert, meilenweit entfernt liegt.
Kaufen sie sich in Mistelbach ein Kipferl in der Bäckerei um die Ecke und fragen sie die Verkäuferin, wie das Museum bei den Einheimischen ankommt. Die Antwort würde Landeshauptmann Pröll gefallen: „Jedem das seine. Aber am Geschäft merken wir es schon positiv.“



Dieser Artikel ist im Informationsdienst Kunst Nr. 378 am 31.5.2007 erschienen.

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