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Kommentar von Antje Mayer

Scheißmaschine in der Kunsthalle

Kunst bringt für gewöhnlich "etwas" zum Ausdruck. Nur was ist dieses "Etwas" bloß? Dieses uns alle quälende Rätsel, das der Kunst inhärent ist, scheint nun endlich gelöst. Der belgische Künstler Wim Delvoye (Jahrgang 1965) hat eine überraschend schlichte Antwort, die angesichts ihrer Natürlichkeit für Kunsttheoretiker eine schwer verdauliche These darstellen dürfte, "form"-uliert: Scheiße!

Die Beweisführung des "Zeitwenden"- Künstlers" Delvoye wird durch die Digestionsinstallation "Cloaca", zu sehen bis 16. September in der Wiener Kunsthallen-Ausstellung "Eine barocke Party", bestens veranschaulicht.
Durch eine Maschine, die den menschlichen Verdauungsprozeß nachahmt. Ein milchig-gelber Essenbrei wird dabei durch Mixer und mehrere, mit Bakterien und Enzymen, versetzte Reagenzgläser und allerlei Schläuche gepumpt, bis er eben dieses etwas Reales im Reich des Imaginären ausdrückt, das sich weder haptisch (fest), noch optisch (braun), noch olfaktorisch (Erbrochenes) von dem unterscheidet, was man gemeinhin als Kot bezeichnet.

Kaum ein Kunstwerk, schreibt der Kunstwissenschaftler Peter Bexte begeistert im Katalog, "bei dem das Ausgedrückte" in der Kunst eine derart "atemberaubende Präsenz" bekommt. Fürwahr atemberaubend. Besonders kurz nachdem die "Cloaca", in der Hauptstadt des Wiener Aktionismus indes anstandslos lieber als "Scheißmaschine" tituliert, von einem Mitarbeiter der Kunsthalle durch einen Trichter, den dieser über eine Leiter zu erklimmen hat, mit leicht bekömmlicher mediterraner Küche aus dem Kunsthallen-Café gefüttert wird. Daraufhin knattert die Maschine nämlich so manches sattherbe Lüftchen in die nagelneue Kunsthalle.
"Zweimal am Tag bekommt 'Es' zu essen, rein vegetarisch", versichert eine Dame vom Aufsichtspersonal, die ihre Wut auf dieses rülpsende Kunstvieh, das sie zu betreuen hat, kaum zu verbergen weiß. Aber Scheiße hin, Scheiße her: politisch korrekt geschissen soll freilich werden.

Was das mit der Ausstellung "Eine barocke Party" zu tun hat? Nichts. Was auch nichts macht, denn in dieser modernen Barockschau mit Künstlern von Dinos & Jake Chapman, Ulrike Grosshardt bis Paul Thek, scheint sowieso alles beliebig. Mehr Aufklärung bietet da schon der hervorragende Katalog. Darin ist zu lesen, daß einer der berühmtesten Uhrwerke des 18. Jahrhunderts eine Ente von Jacques Vaucanson (1709-1782) war. Dieser tierische Blechzeitmesser konnte Körner picken und unter heftigem Schütteln wieder ausscheiden.
Außerdem pflegte Ludwig XIV. bei seinen Audienzen auf vier riesigen Folianten, mit dem Titel "Niederländische Reisen", zu sitzen. Unter deren Deckel verbarg sich ein Nachttopf, den seine Majestät vor der Versammlung ohne Scham zu benutzen pflegte. Diesem Staatsakt beizuwohnen, galt dereinst als eine große Ehre.

Als Zeichen größter Wertschätzung für die Wiener, darf demnach die Scheißmaschine, die die Kuratoren Sabine Folie und Michael Glasmeier, nach Österreich geholt haben, angesehen werden. Besonders schwer wiegt dieses Kompliment dadurch, das dessen Erschaffer Wim Delvoye aus Belgien stammt.

Seit den EU-Sanktionen endlich wieder ein versöhnliches Zeichen aus dieser Richtung.



erschienen in Kunstzeitung Nr.53/Juli.01,S.17