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Kommentar von Manuela Hötzl

XXI World Congress of Architecture; 22. bis 26. Juli 2002

Programme Update, Donnerstag, 25. Juli 2002

22.Juli 2002:

Der ig-architektur E-mail Verteiler übermittelt mir mit dem Betreff: „Für alle, die zum UIA Kongress nach Berlin fahren wollen …“ den aktuellen Zeit Artikel von Hanno Rauterberg: „Berlin, weltweit als Unstadt der Architektur verschrien, zieht keine Neugierigen mehr an. Zudem fehlt der Tagung eine lockende Großthese, und packende Vorträge sucht man vergeblich. Stattdessen palavern Abgesandte aus Krakau oder Singapur über Ressourcen der Stadtplanung oder Neue Arbeitswelten – Themen die flauer und ungefährer kaum sein könnten. Auf solchen Podien wird alles gemeint und nichts gesagt; am Ende bleibt das Gefühl, viel Lebenszeit verschwendet zu haben.“ Und Rauterberg weiter in Endzeitstimmung: „Den Architekten fehlt ein Wofür und Wohin – zumindest diese karge Erkenntnis hat die Kongressmaschine ausgespuckt.“ Ich hingegen weiß Wohin, ich fahre entgegen allen Zeit und ig Warnungen nach Berlin. Grundsätzlich erfreut mich, wenn seriöse Berichterstattung mich auch einmal vor „vertaner Lebenszeit“ bewahrt, anstatt mir klarzumachen Was ich Wo versäumt habe. Doch manches will ich doch selbst erfahren und ohne allgemeingültige Aussage für mich selektieren. So mache ich mich auf nach Berlin, weil ich mir selbst ein Bild über den UIA-Kongress machen möchte, weil ich schon lange nicht mehr den „Horror“ des Potsdamer Platz erlebt habe, weil ich Abgesandte aus Krakau oder Singapur gar nicht so schlecht finde – und weil ich wieder einmal mit einer Berliner Freundin in einer Berliner Bar stehen möchte.

24.Juli 2002:

Ich komme nach einer langen Autofahrt erschöpft in Berlin an. Die „Unstadt“ der Architektur und Rauterbergs zieht mich dennoch gleich in ihren Bann. Wie erwartet grusle ich mich am Potsdamer Platz, Erstaunen löst hingegen die Friedrichstraße aus. Potsdamer Platz versus Friedrichstraße: Hier wird eindeutig, dass Stadtplanung anders funktioniert, als punktuelle Architekturevents. Steinfassaden, die man keiner zeitlichen Einordnung unterwerfen kann, bilden entlang der Friedrichstraße ein Bild einer Stadt. Die Straße ist, wie es scheint, schon seit Jahren belebt. Aneignung und Vermischung ist gelungen – an die Architektur muss man dabei nicht glauben. Meine Freundin erwartet mich im Café Einstein Unter den Linden, hier ein ähnliches Bild – Promenaden, ein großzügiger Platz, selbst Gehry tritt in den Hintergrund – alles wird allgemeingültig und annehmbar. Meine Freundin teilt mir mit, dass sie mich nicht auf den Kongress begleiten wird. Die Eintrittskarte ist zu teuer (die 5-Tagespass ca. 600 €, Tageskarte ca. 200 €), die Kritiken sind durchwegs schlecht, und das Programm holt niemanden aus der Praxis eines Architekturbüros. Ein Freund kommt dazu, er hat heute selbst einen Vortrag auf dem Kongress gehalten – sein Begleiter leistete sich die Karte auch nicht – und die deutsche Korrektheit hat ihm den Eintritt verweigert.

25.Juli 2002:

Schon im Foyer werde ich nach meinem Kongresspass gefragt, den ich erst dahinter bekomme. Ich bin akkreditiert und fühle mich unter den Auserwählten. Das Kongress-Zentrum verschluckt die ersten gefestigten Bedenken – Rolltreppen, überall diskutierende, kaffeetrinkende, notizenmachende Menschen, die von einem Vortrag zum nächsten gustieren.
Die Titel der Podien und Diskussionsrunden lassen nicht viel vermuten, sie entsprechen dem deutschen Pragmatismus - im Gegensatz zu der Liebhaberei der österreichischen Anglizismen wie „Take over“, setzen die Deutschen auf „Architektur für Notfälle“, „Innovation und Tradition“ und „Die Architektur der Stadt“ – letzteres nehme ich. Weniger wegen dem vielsagenden Motto als wegen dem Vortrag Kollhoffs (und Silvia Arango aus Bogota, Yannis Tsiomis aus Paris) und dem großen Saal, in dem er stattfindet. Größe und Bekanntheit beeinflussen die Entscheidung mehr, als ich zugeben mag. Dafür bekommt man auch Gewohntes. Kollhoff spricht von der Substanz einer Stadt, ich muss an die Friedrichstraße denken und bekenne leises Verständnis. Mich faszinieren die kleinen Lampen, die ausklappbaren Tischen und die Kopfhörer mit Simultanübersetzungen – so hätte ich gerne studiert. Ich ziehe weiter zu Peter Eisenman, der mit dem „Star“ sein kokettiert und fragt „ob Stars nicht auch Ressourcen darstellen“. (Bei einem Kongress sicher!) Nach Kollhoff und der Stadt Berlin wirkt sein Vortrag über die Uridee Architektur „jugendlich erfrischend“, aber auch etwas deplaziert. Seine Analyse über den Wettbewerb eines Mahnmals auf dem World Trade Centre in New York inspiriert mich. Eisenman spricht etwas an, das mich auf andere Gedanken bringt. Seine Schlussfolgerung: Durch die Live Übertragung der Katastrophe, die medial aufgearbeiteten Bilder, ist kein Mahnmal mehr möglich, die Bilder sind zu stark vorhanden, als dass ein Denkmal in irgendeiner Form damit konkurrieren könnte. Das ist der Hauptgrund warum ich so gerne Vorträge besuche: Gedankengänge anderer, setzen bei mir Initialzündungen frei, die leider nichts mehr mit der direkten Umgebung zu tun hat.
Nach ein paar Fetzen Innovation, Geschichte und ein wenig Analyse, finde ich mich vor einem Pärchen wieder, er aus Dänemark, sie aus Irland, oder umgekehrt. Ich komme auf keine Gedanken – die schlechte Power Point Präsentation, die Kopenhagen und Glasgow miteinander vergleicht – lässt eigene Gedankengänge einfrieren.

26.Juli 2002:

Nochmals wage ich mich ins Kongresszentrum und flaniere durch die Messe. Eine seltsame Mischung aus Materialien, Magazinen, Medien und universitären Projekten werden dort feilgeboten. Halbe Ausstellungen, Viertel Informationen und Drittel Projekte stehen nebeneinander und sind irgendwie undurchschaubar. Nach dem 3. Gang durch den architektonischen Fitnesspaarcour fallen doch ein paar Präsentationen aus der Reihe, wie das Projekt Graz-Maribor der ZV-Steiermark – die auf wenigen Quadratmeter Österreich vertreten und entspannt ihre territoriale Analyse eines Raumes in eine globale Entwicklung von Stadt, Netzwerken und ökonomischen Zusammenhängen stellen. Nach kleineren Vorträgen, deren Titel ich besser verschweige, stürze ich durch die schweren Glasflügeltüren ins Freie. Voll mit Informationen und der Frage „was schreibe ich jetzt bloß?“ reißt mich ein junger Mann im schwarzen Anzug aus meiner Trance. Er überreicht mir eine kleine transparente Karte. Auf dem Weg zur U-Bahn schaue ich auf die durchscheinende Schrift: “Master of Architecture sucht Anstellung oder freie Mitarbeit in Berliner Architekturbüro“. Ressourcen vor dem Tore!

03.August 2002:

Ich habe noch das jüdische Museum besucht und vor allem erfahren, dass Mahnmale noch ermahnen können. Mittlerweile ist das Museum selbst voll mit schwerer Geschichte, nur das Denkmal im Park lässt durchatmen und vermittelt mehr Bewusstsein als die akribisch detailgetreue jüdische Aufarbeitungsgalerie im Inneren. Daran musste ich denken als ich Matthias Boeckls Bericht im standard las: „Gefangen in der Moralfalle“. Boeckl beendet seinen Artikel mit den Worten: „Diese kreative, einheitliche Triebkraft des Architektendaseins sollte die heute unverzichtbare Ressourcen-Moral eigentlich schon eingebaut haben.“



erschienen in Architektur&Bauforum/Sept.02,Newsletter