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Kommentar von Manuela Hötzl

Volksschule Straß / Steiermark

Architekt: Ernst Giselbrecht, Graz

Ernst Giselbrechts Tätigkeit bewegt sich seit langem schon nicht mehr ausschließlich im engerem Rahmen der Architektur. So versuchte er bei der Visualisierung des Literaturprojekts „Fedora“, die Architektur in Bezug zur gelebten Kultur zu setzen. Die Suche nach der Verständlichkeit der formalen Welt bestimmt auch die vielfältigen Bauten, abzulesen an einer verdichteten Homogenität der Elemente und Konstruktionen – weitab von jeglicher moralisierenden Architektursprache.

Im ländlichen Straß, unweit der slowenischen Grenze, realisierte er als Gewinner eines Wettbewerbs eine Volksschule, der in weiteren Bauabschnitten ein Festsaal und eine Sporthalle folgen sollen. Das Ensemble soll in Strassdorf, dem bisher ein Zentrum fehlte, eine Art Dorfplatz entstehen lassen. Aus diesem städtebaulichen Aspekt heraus soll das Gebäude nicht als ein in sich geschlossener Körper erlebbar werden; vielmehr wird es mit einer entsprechenden Fassade zur Kulisse des Platzes. An der langen Geraden sich linear ausbreitender Wald- und Wiesenarchitektur hebt sich die zurückversetzt platzierte Volksschule in ruhiger Gelassenheit hervor. Einzig ein dynamisch zugespitzter Gebäudeteil ragt in Richtung Straße, der einerseits den Vorplatz fasst und andererseits als Symbol der zielgerichteten Bewegung zum Eingang führt. An der Spitze ist, einer Portiersloge gleich, das Büro des Direktors untergebracht, der von dort aus das gesamte Geschehen beobachten kann. Durch eine Glasfassade gelangt man von hier aus in eine zweigeschossige Halle, von der aus alle sechs Klassenzimmer erschlossen werden. Rechter Hand führen Treppen, um Sitzstufen ergänzt, auf eine Galerie, an deren Endpunkt ein weiterer Treppenaufgang den Kreis schließt. Halle, Sitzstufen und Galerie machen das Foyer zu einer Arena für die Kleinen, die im täglichen Schulbetrieb ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt.

Die kommunikative Architektur lässt Freiraum für Bewegung und Lebendigkeit – Eigenschaften, die einer pädagogischen Einrichtung nicht fehlen sollten. Die Logik der gegeneinander verschobenen Volumina erschließt sich durch die räumliche Ordnung; sie gliedert sich in Funktionsbereiche und ist außen plastisch ablesbar. Konzeptionelles Merkmal ist die pure Einfachheit der Körper, unterbrochen oder vielmehr ergänzt durch großflächige Glasfassaden. Die einzelnen Klassenräume werden zusätzlich durch Lichtbänder von der Halle aus belichtet; überdies können sie wahlweise auch noch untereinander in Blickbezug gesetzt werden. Infrastrukturelle Funktionen wie Gardarobe, Toiletten und Konferenzsaal sind an den Enden untergebracht. Die Anordnung um die Halle herum sichert allen Räumen eine gleichwertige Belichtung.

Ist die Vorderseite des Baus noch individuell durchgestaltet, überrascht die Rückseite mit einer radikalen Schnittfläche. Diese Fassade drückt mit ihrer sachlichen Schlichtheit die Ambivalenz zwischen lebendiger Gemeinsamkeit und konzentriertem Arbeiten aus. Die gesamte Fassade lässt sich mit Sonnenschutzlamellen schließen, wobei die Lamellen vor festen Wandteilen fixiert sind. So reduziert sich diese Front auf Licht und Schatten, sie scheint sich in Linien aufzulösen. Fasst auf der Vorderseite noch die kubische Komposition das Gebäude, so löst die Rückseite die Gebäudegrenzen fast auf. Die Reduziertheit des Komplexes verdeutlicht das Dach, das sich als flaches, leicht schwebendes Element vom Bau absetzt. Es wird an der Hinterseite durch einen Knick angehoben, verbreitert sich optisch und begrenzt die aufgelöste Rückfassade nach oben.

Man mag das Konzept dieser Schule bewerten, wie man will – eigentlich neue Raumkonzeptionen zeigt sie nicht. Doch Licht, Material und Körper tragen eine Brauchbarkeit zur Schau, die weder von Schüchternheit, noch von Überheblichkeit geprägt ist und in ihrer minimalistischen Ästhetik von dem Bemühen um künstlerische Reduktion bestimmt wird. „Sich erst sichtbar und dann vergessen machen, das ist die schwierige Aufgabe der Architektur“ (Jean Nouvel).



erschienen in Bauwelt,1994,Heft 35,