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Kommentar von Antje Mayer

Trotz Schlingensief!

von Antje Mayer

Ich werde ihn nie vergessen diesen Abend.
Ich hatte Herrn M. zwecks näheren Kennenlernens ins Wiener Burgtheater eingeladen. Unsere Freundschaft verband lediglich ein zartes Band gegenseitiger Zuneigung, das jederzeit zu zerreißen drohte. Auf meinem Programm stand: Elfriede Jelineks „Bambiland“ in einer Inszenierung von Christoph Schlingensief. Eine wahre Zerreißprobe: Ich hatte mich keineswegs auf „Romeo und Julia“ eingestellt, schon eher auf eine mir hinlänglich bekannte Schlingensiefsche Provokation, also eine seiner selbst willen, aber das. Wie peinlich banal! In der zweiten Hälfte des Stücks war auf einem riesengroßen Bildschirm eine Onanierszene in anatomischer Detailaufnahme projiziert. Sie wissen schon: Hand, Penis, Hin und Her, während sich Schlingensief darunter höchstselbst auf der Bühne in Farbpfützen wälzte und irgendeinen verbalen Jelinek-Dada nebst eigenen halb ausgegorenen Sozialblabla vor sich hin deklamierte. Provokant daran war einzig, dass dieses „Kreativporno“ einfach nicht aufhören wollte. Dauerte es zehn Minuten, eine halbe Stunde? Der Penis war jedenfalls eines der wesentlichen dramaturgischen Inhalte diese dünnen Theaterabendhälfte und außerdem in jener das einzige, was „bewegend“ war.
Ich verfluchte Schlingensief. Nun lernt man einmal einen netten Mann kennen und dann sieht man sich mit ihm einem Abend lang einer Riesenvorhaut nebst nervenden Berufs-Kind gegenüber. Ich war mir damals absolut sicher, dass Herrn M. am Ende jenes verdrießlichen Abends enerviert für immer „Adieu“ sagen würde. Herr M. blieb und wurde mein Mann – trotz Schlingensief!



Text erschienen in Kunstzeitung 09/2007
Link: Kunstzeitung - Link: Christoph Schlingensief - LinK. Burgtheater/ Bambiland -