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Kommentar von Ludwig Müller

Rektoskop 2 - „Berichte aus dem Inneren der Gesellschaft

„S“ ist ein äußerst gefährliches, penetrantes, skrupelloses und mit noch einigen weiteren derartigen Attributen belegbares Element unserer Gesellschaft. „S“ ist vor allem nicht einer, es sind mehrere, mindestens zwei. Jeder von uns regt sich auf über die, hirnlos sind „s“, daneben und jenseits, lauter Schas bauen “s“. Mitten im größten Reiseverkehr reissen „s“ eine Autobahnbrücke ein, Studien- und Rezeptgebühren erfinden „s“ und Windeln für Fiakerpferd’, daß statt „s“ endlich etwas gegen das Ozonloch tun. Ja, und vor allem richten alle „s“ sich. Das alles machen die da oben. Warum nur geht so selten einer hin, zu genau denen, die wirklich für die Misère verantwortlich sind, und gibt denen einen ordentlichen Rüffel samt einem Packerl warme Ohren ?
Ein bayerischer Kollege meinte vor kurzem, das dünnste Buch der Welt seien die Österreichischen Heldensagen. Nun lieber Kollege, abgesehen davon, daß das Bundesdeutsche Witzbuch auch keinen Lederband rechtfertigt, möchte ich festhalten, daß der Österreicher durchaus zu rebellischem Aufmandln fähig ist.
Beobachten wir einmal an einem der baustellenbedingt zum Nadelöhr verjüngten Verkehrsknoten die epileptische Gestikulation der Autofahrer, wenn sich irgendwer ungeschickt raus, rein oder durchzwingt. Autistische Handyasten, pomadisierte Machos in fahrenden Lautsprecherboxen, testosterontriefend und jederzeit bereit zum Selbstmordattentat auf den nächsten Kinderwagen, und dann natürlich meine erklärten Lieblinge, die über die Kreuzung drüber wollten, obwohl klar war, daß sie nicht drüber konnten und jetzt den Querverkehr blockieren. Gehen Sie also mit missionarischem Sendungsbewußtsein hin, klopfen Sie ans Fenster und verbessern Sie die Welt. Sie werden sehen: nach nur zwei Wochen kriegen Sie die Fäden raus, und flüssige Nahrung ist gut für die Sommerfigur.
Nein, nein: so mirnixdirnix läßt sich der Österreicher von seinen Mitmenschen keine Kritik reinreichen. Rebellisch und stiernackig läßt er seiner Wut freien Lauf, wenn er einen Kratzer auf der Stoßstange entdeckt und nach zehn Uhr noch einer über ihm Gitarre übt. Nur leider, leider, bleibt bei soviel spontanem Engagement wenig Zeit für einen Zusammenschiß von Stadträten, Topmanagern und Innenministern. Da muß ein Kreuzerl für die richtige Partei am Zahltag reichen.
Für seinen Protest nach oben sucht der Österreicher eher die Einsamkeit, je weiter er in geschlossenen vier Wänden oder Karosserien verborgen ist, desto lauter und ungehemmter wird seine Katharsis. Selten wird der Ärger so schön direkt bei seinem Ursprung abgeladen, wie das die wackeren oberösterreichischen Bauern in Vöcklabruck vorgeführt haben. Die belagerten wegen des menschen- und küheverachtenden Milchpreises bei Billa denselben gleich mit 300 Traktoren und insgesamt 500 Demonstranten. Himmlisch !!
Wie bitte? Und warum ich nicht sofort diese Baufirma frag, wen sie geschmiert haben, damit sie am Sonntag um sieben in der Früh die Straße vor meiner Tür aufstemmen dürfen ? Wozu? ich fahr doch jetzt sowieso auf Urlaub. Aber dem Kerl am Brenner, in dem Kassenhüttl, wo „s“ schon wieder die Maut erhöht haben. Dem sag ich dann ordentlich was!!



Ludwig Wolfgang Müller, Urheber und Selbstdarsteller, email: lieber@ludwig-mueller.at>
erschienen in "Datum", Juli/August 04, Ausgabe 2, S.59