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Kommentar von Manuela Hötzl

Zeitgefühl vs Zeitlos

Podiumsdiskussion „Alt vs Neu“ mit Friedrich ACHLEITNER, Architekturkritiker; Rüdiger LAINER, Architekt; Anna POPELKA, Architektin; Georg-Wilhelm RIZZI, Präsident des Bundesdenkmalamtes, Stadtrat DI Rudolf SCHICKER und SR DI Josef MATOUSEK, Leiter MA19

Die Zeitung die „Zeit“ enthält so viele Informationen, wie ein Mensch im 18. Jahrhundert in seinem ganzen Leben aufnehmen konnte. Das bedeutet nicht unbedingt, dass unsere Homo Sapiens Generation intelligenter wäre. Die Menge des Datenmaterials, das irgendwo herumschwirrt, entwirrt und gespeichert werden könnte, erfährt eine differenzierte, mediale Aufbereitung, die wir mehr oder weniger gelernt haben aufzunehmen. Je schneller dies funktioniert, desto dankbarer sind wir. Je besser diese Masse selektiert und präsentiert wird, desto mehr „Zeit“ ersparen wir uns und desto mehr können wir verarbeiten. Das erklärt die Entwicklungen im Internet, wie „Communities“, die wieder auf individuelle, persönliche Sammlungen zielen, die man bewerten und mit denen man umgehen kann.
Denn das Problem der „Zeit“, mit der man alltäglich umgehen muss, die man einteilt in privat und beruflich und in der man agiert, ist, dass man ihr nicht mehr habhaft werden kann. Das Zeitgefühl drückt sich mittels der Angst nach Verlust der Zeit aus.

In der „Zeit“ vom 5.Dezember 2002 schreibt Thomas Assheuer unter dem Titel „Wer hat Angst von der Utopie?“: „Es ist dieses Zeitgefühl, aus dem eine zutiefst konservative Haltung entsteht, auch verständliche Angst, jede politische Veränderung, jede politische Fantasie werde das Leiden an der rasant stillstehenden Zeit nur noch vergrößern.“ Assheuer „die argumentiert mit einer Schnelligkeit, die den „gelebten Augenblick auf eine winzige Differenz zwischen Gegenwart und Zukunft schrumpft.“ Ist die Zukunft also in der Gegenwart schon inkludiert, hat man keine Visionen mehr. Den Intellektuellen wirft Assheuer gar vor „den Mut zur politischen Fantasie verloren“ zu haben.

Doch kommen wir auf die „Zeit“ zurück. Sind wir so beschäftigt unsere „Zeit“ zu managen, dass wir unsere Zukunft und damit unsere Ziele vergessen haben? Ich glaube nicht, aber wir „kommen nicht mehr dazu“ sie strategisch zu verfolgen, weil die „Zeit“ fehlt. Wer würde es also mehr schätzen als ein Zeitgenosse, wenn einem Zeit geschenkt, anstatt gestohlen wird. Eigentlich liegt die Lösung auf der Hand: Jemand investiert mehr Zeit und lässt andere davon profitieren. Wenn Informationen aufbereitet, analysiert und erst dann präsentiert werden würden, könnte das eine Lösung des Dilemmas sein. Podiumsdiskussionen, wie, und jetzt kommen wir auf den Punkt, „Alt vs Neu“ im Ringturm, sind Zeiträuber. Podiumsdiskussionen wie diese werden gern besucht, so wie bei Nachrichtensendungen im Fernsehen glaubt man an die geladenen Experten, hofft auf fundierte Meinungen und auf Erkenntnisse, die man vielleicht miteinander teilen könnte. Doch meist werden die doch immer relativ privat von einzelnen Besuchern mit nach Hause genommen. Leider! Auch die illustre Gesprächsrunde mit Friedrich ACHLEITNER, Architekturkritiker; Rüdiger LAINER, Architekt; Anna POPELKA, Architektin; Georg-Wilhelm RIZZI, Präsident des Bundesdenkmalamtes, Stadtrat DI Rudolf SCHICKER und SR DI Josef MATOUSEK, Leiter MA19, die zusammenkam um über Denkmalpflege, Stadterneuerung und Alt und/oder/versus Neu zu sprechen, kam zu keinen Lösungen. Selbst wenn jemand einen interessanten Punkt anspricht, wird er von dem folgenden Redner sicher nicht angesprochen. Von Visionen war so gar nichts zu spüren. Und das in Wien! Wien, wenn es diese „Gemeinschaft“ gäbe, lebt irgendwie von Tradition und redet permanent von Innovation, spricht von Potenzial und versucht doch dauernd „zu retten, was zu retten ist“.

Ich bin gegen Podiumsdiskussionen. Teilnehmer von Podiumsdiskussionen sind fast immer frustriert. Denn, selbst wenn sie ihr Statement so abgeben konnten, wie sie wollten, beziehen sich die anderen hinter dem langen Tisch meist falsch oder gar nicht darauf. Politiker sind die schlimmsten: sie sind am überzeugensten, sagen am wenigsten, müssen vertreten was andere vor ihnen verbockt haben und haben am meisten Angst vor Forderungen und Visionen, die sie erfüllen müssten und nie in der Lage sein werden, zu können. Worin liegt also das Ziel? Zu hören, dass alle bereit sind „Qualität“ zu erhalten, die sowohl in Alt UND Neu zu finden ist oder wie Achleitner polemisch behauptet: Altes genauso wenig wie Neues existiert. Sehe ich mich als Produzent, muss ich denken: „Die Bereitschaft ist da und was ich mache ich jetzt damit?“. Sehe ich mich als Konsument, muss ich folgern “Jeder will doch nur das Beste und was kommt dabei heraus!“ Ich behaupte: Nichts - nichts kommt bei Podiumsdiskussionen heraus. Alle wissen es, alle nehmen teil oder kommen immer wieder hin. Unvorbereitet erklären alle Beteiligte Bereitschaft für ein Thema. Die Denkmalpflege ist ein Stiefkind der Wiener Architektur, das monopolartig einzelnen überlassen wird. Müßig ist es, jetzt wieder ein paar Punkte anzusprechen, die gelöst werden müssten. Es sind Details, die in einem großen Ganzen integriert werden müssen. Aber es kann nicht sein, dass Architektur als Paragraph 69 präsentiert wird. Hat man wirklich schon Angst vor Utopien, wie Assheuer es in der Zeit prognostiziert? Jedenfalls hat man die Ansprechpartner auf dem Datenhighway verloren. Podiumsdiskussionen sind ein schwaches Mittel diese öffentlich zu ersetzen. Und wenn sollten sie über ideale Voraussetzungen oder Visionen sprechen und den Rest in Arbeitsgruppen erledigen, die nach getaner Arbeit Ergebnisse vorstellen sollten. Wie und mit welchen Mitteln agiert die Denkmalpflege in Wien? Welche Modelle wären anzustreben? Eine Qualitätsdiskussion auf einem Podium kann man sich sparen, weil öffentlich niemand behaupten würde keine zu wollen. Und wenn ich noch mal das Wort „Qualität“ höre, werde ich sie verlangen! Und niemand wird wissen, was ICH damit meine.



erschienen in Architektur&Bauforum/02,Newsletter