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Die Wiener Secession zeigt die Ausstellung BELGRADE ART INC., die sich dem Kunstfeld in der serbischen Hauptstadt Belgrad widmet (von 1. 7. bis 5. 9. 2004).

Kuratiert haben das Panorama in der Secession einer der bekanntesten jungen Intellektuellen der Donau- und Save-Metropole, Stevan Vukovic, und der Wiener Künstler Marko Lulic, der mit seiner Arbeit über Modernismen in Serbien in den vergangenen Jahren auch im internationalen Kunstbetrieb Furore gemacht hat. Georg Schöllhammer, Chefredakteur der „springerin“, traf die beiden Kuratoren in Wien und unterhielt sich mit ihnen über Kunst im posttraumatischen Jugoslawien.

„Die Schau soll nicht wieder Balkanklischees bedienen“

redaktionsbüro: Georg Schöllhammer
Stevan Vukovic,Marko Lulic:
- Vor ein paar Jahren fassten einige der führenden Belgrader Intellektuellen die Befindlichkeit der Post-Miloševic-Gesellschaft in Belgrad in einem Buch mit dem Titel „Die serbische Seite des Krieges – Traum und Katharsis im kollektiven Bewusstsein“ zusammen. Ihr Argument war, dass sich die Gesellschaft in einem Zustand der Aufarbeitung, soll heißen, in einer Reihe von traumatischen Erfahrungen befinde und deren Aufarbeitung die intellektuelle und künstlerische Produktion bestimme. Ihre Ausstellung will ein historisch analytisches Panorama dieser Situation und ein Bild der gegenwärtigen Szene entwerfen.

War auch die Kunstszene von traumatischen Erfahrungen belastet?
- Ja, wie die ganze Gesellschaft durchlebte auch die Belgrader Kunstszene in den letzten beiden Jahrzehnten eine Reihe von Traumata. Der Umgang mit dieser Serie von traumatischen Erfahrungen hat lange verhindert, dass sich in Belgrad so etwas wie ein neurosefreies Kunstleben entwickeln konnte.
Den ersten großen Einschnitt stellte der Kollaps des Staatssozialismus dar. Wir hatten in Jugoslawien immer gedacht: Wenn jemand die Transformation aus einem sozialistischen in ein marktwirtschaftliches System schafft, dann sind es wir. Wir hatten ja immer reisen dürfen. Information war kein Problem und die wenigen Dissidenten, die es gab, mussten nie mit ganz ernsten Repressalien rechnen. Sicher, manche wurden aus ihren öffentlichen Funktionen vertrieben, aber auch in Deutschland gab es in den siebziger Jahren Berufsverbote aus ideologischen Gründen. Der Staatsapparat hatte eine Ideologie der Moderne und der ethnischen Gleichberechtigung. Der dritte Weg, den das Titoistische Jugoslawien zwischen den Machtblöcken zu gehen angetreten war, schien eine echte Option. Traumatisch war also die Erfahrung, dass dieses Staatswesen kollabierte, dass sich – politisch geschürt – ethnische, nationalistische Konflikte und Nationsbildungen mit kriegerischen Auseinandersetzungen abspielten.
Dann kam das zweite große Trauma: der Niedergang des relativen Wohlstands, die Verarmung der Mittelklassen und Intellektuellen innerhalb einer von Krieg und Kriegswirtschaft bestimmten Situation. Dazu kam der Kollaps des Alltagslebens und der Institutionen, die von den Miloševic-Leuten radikal an sich gerissen und für viele daher unbetretbar wurden. Daraus resultierte eine weitere, dritte traumatische Konsequenz: Den Menschen draußen immer seinen Standpunkt erklären zu müssen, sich immer in Bezug auf die lokale Lage definieren zu müssen, bevor man mit ihnen über seine Arbeit, z. B. die als Künstler, reden konnte.
- Was bedeutete diese Situation im Besonderen für die Künstler?
- Man darf nicht vergessen, dass die jugoslawische Szene in den sechziger und siebziger Jahren zu den avanciertesten Europas zählte: Leute wie Daniel Buren oder Art&Language waren schon früh Gäste in Belgrad, früher als zum Beispiel in Wien. Wir zeigen das auch in der Ausstellung. Es gab einen großen Aufbruch in der konzeptionellen Kunst. Tendenzen der Transavanguardia- und Performancekunst hatten dort eine frühe Blüte. Man traf sich mit internationalen Kollegen in Belgrad, auf der Biennale de Paris oder bei den Trigon-Ausstellungen in Graz. Alles das wurde durchaus auch von staatlichen Organisationen wie den Studentenkulturzentren getragen. Nach dem Zerfall Jugoslawiens musste man sich gänzlich neu formieren: Die alten Institutionen waren für die Avantgarden verschlossen. Der Blick von außen fiel hauptsächlich auf ein paar Initiativen, die sich kritisch mit den politischen Verhältnissen auseinander setzten. Die Künstler mussten also lernen, sich selbst zu organisieren. Sie mussten erst ihre Sprache finden und erkennen lernen, dass das Auftauchen des Marktes oder von Kuratoren aus dem Westen nicht bedeutete, Karriere zu machen. Da gab es anfangs viele Enttäuschungen.
- Wird man diese „Verschiebung von Tradition“ und die unterbrochene Generationsablöse in der Kunstszene, die sie hier skizzieren, auch in der Ausstellung dargestellt finden?
- In der Ausstellung versuchen wir, diese Entwicklung einer Szene nachzuzeichnen. Sie operiert mit den historischen Links zu jenen zentralen Künstlerfiguren der Sechziger und Siebziger, die während und nach dem Ende des Miloševic-Regimes zu wichtigen Transmissionsfiguren geworden waren, wie Raša Todosijevic. Er hat später mit ersten Ausstellungen in privaten Räumen das Neuformieren einer jungen unabhängigen Szene mitgeprägt. Die Ausgangslage war für beide Generationen ja gleich: Beide konnten eigentlich erst wieder nach den Jahren des Umbruchs anfangen zu arbeiten. Das Regime war nicht in direktem Sinne repressiv gewesen, es hatte aber jede alternative lokale Öffentlichkeitsbildung gleichsam durch Nichtreagieren vereitelt.
- Wie und wo fand diese Öffentlichkeitsbildung nach dem Ende des Miloševic-Regimes ihren Ausdruck?
- Der „Wiederaufbau“ der Belgrader Szene, dem unsere Ausstellung gewidmet ist, ereignete sich weniger in den „Widerstandszentren“ gegen das Regime als vielmehr über das Aktivieren von jenen losen Netzwerken an Kontakten, die sich junge Künstler geschaffen hatten. Vorbildhaft agierte zum Beispiel die Medienkunstinitiative kuda.org aus Novi Sad, die sich selbstverständlich als Teil einer international stark vernetzten Szene verstand und nicht auf die Besonderheit ihrer traumatischen lokalen Erfahrungen als Kapital schielte. Oder Gruppenbildungen aus dem Grafikdesign-Umfeld wie Skart, die heute vor allem Kunst im öffentlichen Raum und Community-Arbeit machen. Und natürlich Künstler wie Milica Tomic oder Uroš Ðuric, deren Arbeit immer international ausgerichtet und getragen war. Sie hatten es verstanden, gegen die Anwerfungen von nationaler Identitätspolitik bildmächtige Reflexionen über die Konstruiertheit von Identitäten zu erarbeiten.
- Ihre Ausstellung heißt Belgrade Inc. Das lässt erwarten, dass die Ökonomisierung der Kunstwelt heute ein wesentliches Thema sein wird, ebenso die neue Identitätsfindung und das neue Selbstbewusstsein der Szene?
- Ja. Das „Inc.“ spielt mit der doppelten Bedeutung von Incorporated: der wörtlichen und der ökonomischen. Die Szene ist auf dem Weg, eine ganz normale europäische Metropolen-Kunstszene zu werden. Anders als in den Krisenjahren, in denen die Künstler oft nicht wussten, wie man auf internationale Anfragen reagieren soll, hat unter anderem auch die Balkanausstellungskonjunktur der vergangenen zwei Jahre in Belgrad ganz normale Kontakt- und Kommunikationsstrukturen in der Kunstszene und nach außen entstehen lassen. Wir hoffen, dass wir von diesem Prozess und seinem Umraum in der Ausstellung ein Bild geben können. Denn schließlich gibt es viele starke Arbeiten aus Belgrad.
Wir haben aber noch einen zweiten Anspruch: Die Schau soll nicht wieder Balkanklischees bedienen – Schlagworte wie Fragment, Überborden, Buntheit, Ethno-Kitsch und so fort – sondern eine moderne Kunstausstellung sein. Denn dafür steht die Belgrader Szene seit den sechziger Jahren: für Modernität.
erschienen im "Magazin für Kontakt d. Erste Bank Group", issue2
Secession - Magazin,Issue2 -