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„Warme Hosen wärmen, Makkaroni nähren, Flugabwehrgeschütze schießen“. So oder so ähnlich lautete einst die nüchterne Designmaxime in der Sowjetunion, in der die Moskauer Modemacherin und Künstlerin Lena Kvadrat (Jahrgang 1966) aufgewachsen ist. Inzwischen hat die erfolgreiche Nachwuchsdesignerin ihre persönliche Modegeschichte geschrieben...

„Ich verstehe meine Mode als eine Botschaft“

redaktionsbüro: Antje Mayer
Lena Kvadrat:
- Dein Geschäft in Moskau geht ziemlich gut, was hat dich dazu bewegt, im vergangenen Herbst nun auch noch in Wien eine art point-Filiale zu eröffnen und nicht etwa in Paris oder London.
- Ich lebe in Wien und in Moskau. Ich habe das Prinzip, dort zu arbeiten, wo ich lebe, nicht da, wo sich eine „Szene“ etabliert hat. In Moskau habe ich Durchhaltevermögen gelernt. Mein Laden in Wien läuft sehr gut. Aber es geht mir nicht vordergründig um Kommerz. Ich verstehe meinen Shop und meine Mode als eine Botschaft, als eine Art Plattform für verschiedenste künstlerische und gesellschaftliche Experimente.
- Würdest du dich als Künstlerin, Modedesignerin oder als Forscherin auf dem Gebiet Kleidung bezeichnen? Du setzt dich ja seit Jahren auch mit kunsttheoretischen Texten auseinander.
- Ich sehe mich eher als Künstlerin. Ich versuche Kleidung in einen kulturellen Kontext einzubetten, ihre Codes und ihre Symbolik zu erforschen.
- Und dabei kommen dann Kollektionen heraus mit programmatischen Titeln wie „Konsonanten“, „Neutrale Gewässer“ oder „Krise des Körpers“, wie die heurige Herbst/Winter-Kollektion betitelt ist. Ein irritierendes Motto, das sich wohl gegen die immer noch an makelloser Schönheit und Perfektion orientierte Modebranche wendet.
- Das Thema „Krise des Körpers“ beschäftigt mich sehr, zumal ich selbst die Lebensmitte schon überschritten habe. Früher waren ältere Menschen gewissermaßen „Medien“. Durch sie hat man etwas über das Leben und die eigene Geschichte gelernt. Sie waren in der Gesellschaft hochgeschätzt. Heute ist das Alter nicht nur negativ besetzt, sondern wird einzig an der Vergänglichkeit des Körpers gemessen. Wir empfinden Alter als Krise des Körpers. Dabei ist der Lebensherbst, auch in modischer Hinsicht, sehr produktiv. Haben wir nicht erfahren, dass sich die Bedeutung von Mode bereits schon mit dreißig Lebensjahren für uns mutiert? Sie wird „historischer“, denke ich. In diesem Kleid habe ich Dimitri kennengelernt, jener Hut erinnert mich an den Spanienurlaub, das Paar Schuhe an den lustigen Tanzkurs.
- Wie setzt du dann diese Überlegungen in Schnitt, Naht und Druck um?
- Für mich gibt es immer erst das Konzept. Die Mode ist dann das Modul, über das ich es kommuniziere. Ich arbeite stets mit kleinen Irritationen. Ich drucke etwa eine kleine Karotte auf ein Businesshemd statt einem Logo oder ich verfremde das Revers eines Kleides mit einem Gedicht. Ganz leise Irritationen. Die Träger liefern ohnehin siebzig Prozent Geschichte, ich gebe als Designerin vielleicht dreißig Prozent vor, eher weniger.
- Wie bist du bei der neuen Herbst/Winter-Kollektion vorgegangen?
- Ich arbeite mit passenden Zitaten zum jeweiligen Thema. Bei der neuen Herbst/Winter-Kollektion findet man zum Beispiel eine idealisierte Proportionszeichnung eines menschlichen Körpers aufgedruckt. Gegenüber dem Konzipieren und Entwerfen ist die Präsentation ein ebenso wichtiger Part innerhalb meiner Arbeit. Für die Show meiner „Krise des Körpers“ – Kollektion plane ich etwa, einen Chor mit älteren Menschen singen zu lassen, die sich die Drucke in die Kleider zum Teil selbst anbringen sollen.
- Eine sehr intellektuelle Herangehensweis; wird sie in Wien gleichermaßen geschätzt wie in Moskau?
- Auf alle Fälle. In Wien ist man sehr an meinen Sachen und dem Konzept dahinter interessiert. Die Moskauer befinden sich in Fragen der Mode hingegen noch innerhalb eines Lernprozesses. In Wien kaufen junge wie ältere Kunden. In Moskau habe ich leider vornehmlich jüngere Semester im Shop stehen. Ich kann mich nicht beklagen: In Moskau gehen eher die Accessoires, aber an ihnen verdiene ich auch nicht schlecht. Meine Sachen wollen Boutiquenbetreiber aus Westsibirien und dem Ural genauso, wie japanische Modeprofessoren. Letztere hatten fünfzehn Modelle auf einen Schlag gekauft, als Anschauungsmaterial für ihre Studenten. Eines ist jedoch für mich auffallend: Die Moskauer Männer zeigen mehr Mut als die Wiener Herren. Der Wille sich von der Masse abzusetzen ist in Moskau naturgemäß größer.
- Schau. In diesem Moment läuft auf der anderen Straßenseite ein junger Mann in einem art point-Shirt. Er sieht doch sehr selbstbewusst aus.
- (lacht): Oh! Das ist freilich eine große Freude, wenn man jemanden mit Klamotten auf der Straße entdeckt, die man selbst entworfen hat. Der junge Mann wirkt tatsächlich zufrieden!
- Ist in Moskau modisch mehr los als in Wien?
- Moskau befindet sich seit Jahren in einem ständigen Prozess und Wandel. Das macht die Stadt momentan unglaublich spannend. Dennoch: Ich finde dort nur wenig Sinn für Ironie, Provokation oder Reflexion. Manchmal verliere ich die Geduld. Inzwischen gibt es zwar drei Pret-a-porter-Wochen in Moskau, an denen ich anfänglich auch teilgenommen habe, aber das mache ich nun nicht mehr. Das russische Publikum will teure, wertvolle Sachen, perfekte Mannequins in perfekter Mode, die auf glatten Fotos perfekt für die Hochglanzmagazine präsentiert werden. Meine Modells sind Menschen von der Straße ohne perfekte Modellmaße. Ich arbeite bewusst mit Fehlern wie etwa ausgefransten Säumen.
- Versteht das Moskauer Publikum das?
- Das wird in Russland von der sogenannten Profibranche, die auch das entsprechende Geld umsetzt, nicht als Qualität erkannt. Noch nicht! Eine sinnvolle Struktur, die wie auf einer Messe Designer und Kunde zusammenbringt, gibt es übrigens auch nicht, auch keine Produktionsmöglichkeiten für kleine Auflagen wie die meine, fünfzig bis siebzig Stück pro Modell.
Dennoch, es tut sich was: In den vergangenen eineinhalb Jahren wuchsen in Moskau kleine Nähwerkstätten wie die Pilze aus dem Boden. In diesen Ateliers werden zu billigen Löhnen Westmarken nachgeschneidert. Löhne sind nach wie vor günstig. Daher produziere auch ich nach wie vor in Russland.
Die Imitate der Billigateliers, mit denen derzeit alle rumlaufen, die aber nicht unbedingt schlecht sein müssen, werden an den unzähligen Marktständen in Russland verhökert oder in den riesigen Handelshallen verkauft, die es in Moskau beinahe nahe jeder Metrostation gibt. Drei Dutzend solcher Werkstätten pro Stadtbezirk gibt es inzwischen mit Sicherheit. Designer, die ähnlich ambitioniert wie ich arbeiten, gibt es vielleicht in ganz Russland zehn. Ich kann es nicht beschwören.
- Werden in Russland Modemagazine herausgegeben, in denen sich experimentelle Designer und Künstler wie Du präsentieren können?
- Wenn man als Designer, jung, alt, bekannt oder nicht bekannt, einen Bericht in den großen, wichtigen russischen Hochglanzmagazinen publiziert haben will, muss man dafür kräftig löhnen. Ein mehrseitiger Bericht kann dann schon mal 5.000 Dollar kosten. Umsonst ist derzeit nichts im teuren Moskau. Aber dafür lebe ich ja Wien. Da muss man nur einen Kaffee für den Journalisten ausgeben. Sie sind hiermit eingeladen. Herr Ober, bitte zahlen!
*art point_vienna, Westbahnstr. 3, 1070 Vienna, t: ++43-1-5220425; opened mo-fr 11-19.00, sat 11-17.00
*Bernhart, Kaerntnerstr./Johannesgasse, 1010 Wien t.: ++43-1-512 91 03,
*Gloom, Neubaugasse 75, 1070 Vienna, t: ++43-1-5238657
*MAK Shop, Stubenring 1, 1010 Vienna, t: ++43-1-71136-228, In Deutschland:
*Respectless, Neue Schoenhauser Strasse 19, D-10178 Berlin
*Groopie Deluxe, Goltzstrasse 39, D-10781 Berlin-Schoeneberg, t: ++49-30-2172038
*Museumsshop Deutsche Guggenheim, Unter den Linden 13-15, D-10117,
*Crème Fresh, Kastanienallee 21, 10435 Berlin, +49-30-4862582
*Yeh, Königstraße 102-105, 47798 Krefeld, t: ++49-02151-66359
*Frau H., Juliusstraße 18, D-22769 Hamburg, t: ++49-40-430 44 21
In der Schweiz:
*Extern, Spielmatte 1, CH-3800 Unterseen, t: ++33-823-5530

erschienen im H.O.M.E/ Nov.03
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