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Kräfte in Grauzonen

Der Migrationsforscher Michael Jandl befasst sich dem heiklen Thema „Migration und illegale Beschäftigung“.

redaktionsbüro: Barbara Tóth
Michael Jandl :
- Herr Jandl, der Wahlkampf wurde unter anderem von der Debatte über den sogenannten „Pflegenotstand“ dominiert. Mit einem Mal wurde öffentlich, was zuvor von der Politik offenbar in großem Stil toleriert wurde: nämlich dass bis zu 40.000 Personen aus den östlichen Nachbarländern Österreichs illegal als Pflegekräfte arbeiten. Kam das für Sie als Experte überraschend?
- : Die Krise im Pflegebereich ist hinlänglich bekannt. Auch die Rolle der ausländischen Pflegekräfte, vor allem im Privatbereich. Erforscht ist diese Situation dagegen noch nicht so intensiv. Wir haben derzeit ein Projekt laufen, in dem wir Migration und illegale Beschäftigung in Österreich untersuchen.
- In dieser Studie, die vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF mitfinanziert wird, fokussieren Sie vor allem auf laufende Entwicklungen auf dem irregulären Arbeitsmarkt. Zu welchen ersten Ergebnissen sind Sie gekommen?
- Migration und irreguläre Beschäftigung in Österreich sind auf keinen Fall gleichzusetzen mit illegaler Migration an sich. Illegaler Aufenthaltsstatus kann, aber muss nicht Bestandteil dabei sein. Das Beispiel der Pflegerinnen aus Tschechien und der Slowakei ist ein Paradebeispiel dafür, weil Bürger aus den neuen EU-Mitgliedstaaten seit dem 1. Mai 2004 sich in Österreich legal aufhalten, aber eben nicht arbeiten dürfen. Gerade im Pflegebereich sind die Dinge nicht so einfach, wie sie in den Medien dargestellt wurden. Die Anwerbung läuft über Organisationen, die sich als Mitgliederorganisationen ausgeben, wo Beiträge gezahlt werden müssen – das ist ein Graubereich.
- Gibt es vergleichbare Mechanismen auch in anderen Branchen?
- Wir haben uns mit illegaler Migration in einer Vielzahl von Bereichen beschäftigt. Die wichtigste ist sicher die Baubranche, wobei man den Begriff weiter fassen muss. Da geht es um das Baunebengewerbe bis hin zu privaten Umbauten in den blühenden Vororten von Wien, wo sich Menschen private Schwimmbäder, Lauben und Ähnliches errichten lassen. Hier funktionieren die Netzwerke und Anwerbungen eher auf informeller Basis, über Bekannte und Freunde und deren Weiterempfehlungen.
- Slowakische Pflegerinnen für die Großeltern, polnische Handwerker für die neue Garage für das Zweitauto – baut der Wohlstand unserer Gesellschaft auf der – illegalen - Ausbeutung unserer Nachbarn auf?
- Unser Wohlstand beruht nicht nur darauf. Er basiert schon auch auf der Produktivität der österreichischen Wirtschaft, die sehr viel höher ist als in den umliegenden Ländern. Aber der zusätzliche, kleine Wohlstand, den man sich gönnt oder leistet, der eigentlich nicht unbedingt nötig ist, außer im Pflegebereich – der basiert manchmal durchaus auf den Leistungen dieser Menschen. Insgesamt profitiert natürlich jemand von den Kostenvorteilen irregulärer Arbeit: Das können die Unternehmer in der Gastronomie, dem Gewerbe, der Landwirtschaft sein. Oder die privaten Haushalte.
- Profitieren nicht auch die Menschen, die aus den Nachbarländern zu uns kommen? Sonst würden Sie die Strapazen nicht auf sich nehmen.
- Natürlich bietet ein Lohngefälle immer Anreize zur Migration. Es sind aber – nach den bisherigen Erfahrungen der Forschung als auch nach unseren Erkenntnissen aus Migranten-Interviews – meist nicht die unterqualifizierten Arbeitslosen, die mobil sind, sondern andere Gruppen. Mittel- bis Höherqualifizierte, Mobile, Junge, die keine Perspektiven zu Hause finden und die Migration meistens als temporäres Projekt sehen. Alle wollen wieder nach Hause gehen. Aber ob es dazu auch wirklich kommt … meist ist die Rückkehr eher eine Illusion.
- Für die sogenannten Gastarbeiter der siebziger Jahre blieb es in vielen Fällen eine Illusion. Lassen sich die Migranten von damals mit jenen aus den neuen Nachbarländern vergleichen?
- Man kann es nicht direkt vergleichen. Zurzeit der Gastarbeiteranwerbung wurden die Menschen ganz gezielt geholt – für ganz bestimmte Industriebereiche in Österreich. Seit 1974 haben wir einen Anwerbestopp. Es gibt auch ganz gravierende Unterschiede bei den Migranten: Zum Teil sind sie proaktiver, besser gebildet und werden vor allem nicht für niedrig qualifizierte Tätigkeiten geholt. Ob auch sie das klassische Gastarbeiterschicksal ereilt, steht noch nicht fest. Man darf aber auch nicht vergessen, dass sehr viele Gastarbeiter auch wieder zurückgegangen sind. Nur ein Teil ist geblieben. Dieser Teil hat aber seine Familien nachgeholt. Damit war eine wichtige Vorentscheidung gefallen, in Österreich zu bleiben. Das ist der Punkt: Wenn Kinder hier aufwachsen, ist eine Rückkehr äußerst unwahrscheinlich.
- Zeichnet sich ab, dass auch Migranten aus den neuen EU-Staaten beginnen, ihre Familienangehörige nachholen?
- Die Migration seit der EU-Erweiterung ist, überraschend für alle, doch sehr gering – vor allem im Vergleich zur Migration aus den traditionellen Herkunftsländern. Personen, die aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei zugezogen sind und zuziehen, machen zusammen noch immer zwei Drittel der Migranten in Österreich aus. Trotz Ostöffnung war das Volumen aus den neuen Mitgliedsstaaten Polen, Ungarn, Slowakei und Tschechien minimal.
- Wenn ich jetzt Regierungspolitikerin wäre, könnte ich stolz argumentieren: Mit unserer Politik haben wir erfolgreich verhindert, dass Österreich von Arbeitssuchenden aus den neuen EU-Mitgliedstaaten überflutet wird. Die Übergangsfristen haben gewirkt. Aber ist das wirklich so?
- Die Übergangsfristen sind hauptsächlich dazu da, den Arbeitsmarkt zu schützen, und haben nur indirekt Auswirkungen auf den Zuzug. Die Folge davon ist, dass man sicherlich auf dem regulären Arbeitsmarkt einen gewissen Schutz gebildet hat. Gleichzeitig hat man durch das Auseinanderklaffen von Niederlassungsfreiheit und Beschränkung auf dem Arbeitsmarkt die Grauzone auf dem irregulären Arbeitsmarkt erhöht. Das sehen wir nicht nur am Beispiel der Pflegerinnen, sondern auch bei den Scheinselbstständigen. Die Übergangsfristen hatten gewisse Schutzeffekte und waren dadurch sinnvoll. Man müsste jetzt überlegen: Wie kann man sie graduell abbauen? Irgendwann müssen sie weg, spätestens 2011, eventuell sogar schon 2009. Es wäre schlecht, wenn man 2009 dasteht und unvorbereitet ist. Besser wäre es, für gewisse Sparten, wo eine hohe Nachfrage herrscht, die Übergangsfristen zu lockern.
- Ihr Institut beschäftigt sich explizit mit der Entwicklung von Strategien im Umgang mit Migration. Wären Sie jetzt Berater des österreichischen Wirtschaftsministers oder der österreichischen Innenministerin, was würden Sie ihm oder ihr vorschlagen?
- Bei der Pflegedebatte wurde darüber diskutiert, ob man die Einkommensgrenze für Schlüsselkräfte im Pflegebereich noch weiter absenken soll – sie ist ja bereits deutlich niedriger als für allgemeine Schlüsselkräfte. Das war ein wirklicher Fauxpas, weil es so aussieht, als würde man bewusst Druck auf die Löhne ausüben. Man hätte gleich sagen können: Nehmen wir sie aus den Schlüsselarbeitskräften raus, machen wir eine eigene Quote für Pflegerinnen – so wie es bei den Erntehelfern und Saisonarbeitskräften gemacht wurde. Da wurden die Quoten auch kräftig angehoben. In gewissen Bereichen des Arbeitsmarktes, wo derzeit schon ein krasses Missverhältnis herrscht und die Zugangsbeschränkungen bei gleichzeitiger Niederlassungsfreiheit bereits heute zu massiven Umgehungen führen, würde ich ebenfalls in diese Richtung gehen.
- Welche Bereiche oder Branchen des Arbeitsmarktes brauchen mehr Schutz, welche weniger?
- Man muss sehen, dass gewisse Segmente des Arbeitsmarktes bereits massiv unter Druck geraten sind – vor allem das untere Ende, vor allem Berufssparten, wo jetzt schon hauptsächlich Migranten tätig sind. Auf dem Bau, im Gewerbe, Handel, im Tourismus. Hier muss noch für geraume Zeit abgeschirmt werden. Sonst besteht die Gefahr, dass ansässige Migranten mit legalem Zugang zum Arbeitsmarkt durch neuere Migranten verdrängt werden.
- Kommen wir auf die europäische Ebene: Längst gibt es einen Wettbewerb unter den EU-Staaten um die besten Kräfte aus den neuen Mitgliedsländern. England beispielsweise wirbt gezielt um medizinisches Personal aus Tschechien. Hat sich Österreich –durch die Abschottung mithilfe der Übergangsfristen – da nicht selber aus dem Spiel genommen?
- Man muss unterscheiden: Zwischen hoch qualifizierten Menschen, die über Greencard-Modelle gesucht werden, und jenen Menschen, die jetzt etwa in England sehr populär sind, wie etwa die polnischen Installateure, die sogar eine eigene Image-Kampagne gestartet haben. Das sind nicht die besten Kräfte im Sinne von Schlüsselarbeitskräften, sondern gut ausgebildete, vor allem handwerklich gut ausgebildete, fleißige, junge Leute aus Osteuropa. 350.000 polnische Arbeitskräfte sind seit der EU-Erweiterung in England registriert, das ist ein Vielfaches von dem, was man erwartet hat. England hat seinen Markt geöffnet und hat aufgrund seiner boomenden Wirtschaft die neuen Kräfte auch aufnehmen können. Deutschland und Österreich sind im vergleichbaren Zeitraum viel langsamer gewachsen. Deshalb kann man das nicht eins zu eins anwenden. Natürlich ist es so, dass Migranten, wenn sie einmal in ein Land gegangen sind, dort bleiben. Wenn jetzt Österreich seinen Markt öffnet, werden die von England nicht zu uns kommen. Es gibt also einen Wettbewerb um gut ausgebildete Kräfte, aber nicht um die besten. Wenn man in den Wettbewerb um die besten Köpfe einsteigen möchte, müsste man sich um Studenten und Graduierte bemühen – das ist ein anderes Segment.
- Gerade in Österreichs unmittelbarere Nachbarschaft gibt es viele gemeinsame historische und kulturelle Traditionen. Würde da eine verstärkte Zusammenarbeit in der Migrationspolitik nicht sinnvoll sein?
- Unsere Nachbarländer schauen nicht unbedingt nach Österreich. Man hat hier einiges versäumt. Man schaut eher nach Brüssel oder über den Großen Teich. Migration ist bei den neuen Mitgliedsländern auch nicht so ein Thema. Die Anzahl der Migranten liegt bei ein bis zwei Prozent der Bevölkerung. Die Auswanderung ist da schon ein wichtigeres Thema. Das spiegelt sich auch institutionell wieder. Da geht es nicht nur um Brain Drain, sondern um die positiven Beiträge der Ausgewanderten – vor allem in Form von Geldüberweisungen nach Hause. Gleichzeitig ist man dabei, sehr schnell zu lernen. In einigen neuen Mitgliedsländern gibt es schon modernere Migrationspolitik als in Österreich. Tschechien entwickelt etwa schon Pilotprojekte, um hoch qualifizierte Kräfte ins Land zu holen.
175 bis 200 Millionen waren 2005 weltweit Migranten.
In Europa leben 56 Millionen Einwanderer.


Michael Jandl ist Migrationsforscher am International Centre for Migration Policy Development (ICMPD), einer internationalen Organisation mit Hauptsitz in Wien.

Barbara Tóth ist Journalistin bei der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ und Autorin. Zuletzt erschien von ihr das Buch „1986. Das Jahr, das Österreich veränderte“ ( Czernin Verlag, Wien 2006) www.derstandard.at


Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Oktober 2006
Link: REPORT online - Link: ICMPD - International Centre for Migration Policy Development - Link: derStandard.at -