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„Wir wollen kleine, feine Initiativen setzen“

Im Gespräch mit Boris Marte und Christine Böhler von "kontakt"

redaktionsbüro: Patricia Grzonka
Boris Marte,Christine Böhler:
- Wie kam es zu den umfassenden Sponsoring-Aktivitäten der Erste Bank-Gruppe? So wie ich diese wahrnehme, handelt es sich dabei hauptsächlich um eine Form von Netzwerkstätigkeit?
- Boris Marte: Zunächst einmal haben wir uns angesehen, welche Tradition das Unternehmen in diesem Bereich schon mitbringt, wobei die Geschichte der Sparkassen in Bezug auf die Kommunikation sehr wichtig war. Auf der anderen Seite ging es darum, für die neue Situation mit der Bankengruppe in Zentral- und Osteuropa ein Konzept zu erarbeiten, das diesen Anforderungen auch gerecht wird.

Christine Böhler: Die Bankengruppe ist in den letzten fünf Jahren sehr stark gewachsen und daher kam auch Handlungsbedarf auf. Vorher existierte zwar ein Sponsoring, aber in viel kleinerem Rahmen. Wenn ein Unternehmen plötzlich in fünf Ländern tätig ist, hat man eine andere gesellschaftliche Verantwortung zu erfüllen und diese auch anders wahrzunehmen.
- Die Erste Bank agiert in sehr vielen verschiedenen Bereichen, wobei es bei euch eine zentrale Schaltstelle gibt. Wie sind da die Aufgaben verteilt?
- Boris Marte: Man muss grundsätzlich dazu sagen, dass das Netz natürlich breiter ist und wir eine Struktur entwickelt haben, die nicht nur im kulturellen Bereich ein sehr starkes autonomes Arbeiten zulässt. Mit unseren Teams in den Tochterbanken der zentraleuropäischen Länder arbeiten wir gemeinsam an den Projekten. Unsere Motivation ist es, genau in dieser Region ein grenzüberschreitendes Engagement zu ermöglichen und den starken wirtschaftlichen Netzwerken, die tätig sind, auch solche kultureller und sozialer Natur gegenüberzustellen.
- Wie schaut das nun konkret aus? Arbeitet ihr mit Leuten vor Ort, die an ihre eigenen Netzwerke und Szenen anknüpfen, oder treten interessierte Menschen mit eigenen Anliegen direkt an euch heran?
- Boris Marte: Da gibt es sehr unterschiedliche Abläufe. Das eine kann über Vermittlung passieren, das andere sind direkte Impulse, die wir selber setzen. Ein gutes Beispiel, wo beides zusammengewirkt hat, ist das Projekt „Zagreb – Cultural Kapital 3000“.Nach einer sehr intensiven Phase der gemeinsamen Nachdenkarbeit mit verschiedenen NGO, die an uns herangetreten sind, entstand dieses Projekt, das ein unglaublich umfassendes, urbanistisches kroatisches Zukunftsprojekt geworden ist. Es erscheint uns nicht so wichtig, eine Repräsentationsfläche in Wien zu schaffen, sondern vielmehr, Mittel in die Hand zu nehmen, um selbständig kreative Prozesse vor Ort, in den Ländern, wo die Erste Bank-Gruppe tätig ist, zu ermöglichen.
- Kann man mit zeitgenössischer Kunst überhaupt genug Credibility lukrieren oder wäre eine klassische Projektförderung nicht effizienter?
- Christine Böhler: Es ist eine klare Entscheidung, nicht das ganze Geld der Breitenkultur zukommen zu lassen, sondern auch Bereiche zu unterstützen, die für uns inhaltlich interessant sind, wenn auch weniger öffentlichkeitswirksam. Es geht darum, zu erkennen, dass Kunst und Gesellschaft zusammengehören und Entwicklungsprozesse beinhalten, die langsam und manchmal schwer sichtbar vor sich gehen. Aber es gibt natürlich auch sehr große klassische Projekte wie das Prague Spring Festival, wo die Česká spořitelna Hauptsponsor ist.

Boris Marte: Im Sinne eines modernen, privaten Bankensystems ist es heute eben notwendig, mutigere Entscheidungen zu treffen und zwar in Bezug auf ein gesellschaftliches und kulturelles Engagement. Wir wollen da kleine, feine Initiativen setzen. Das geschieht u. a. auch im sozialen Bereich, wo eine Publikation erscheinen wird, die wir gemeinsam mit allen Caritas-Organisationen in diesen Ländern produziert haben. Auszüge aus der Publikation sind ja auch auf unserer Website zu lesen.
- Entspricht das auch dem angekündigten „Arts and Civil Society Program“?
- Christine Böhler: Ja. Da ist eben jener Bereich der Gesellschaft gemeint, der außerhalb der Regierungen angesiedelt ist und der sich aus NGO, karitativen Organisationen und anderen Bürger-Initiativen zusammensetzt.
- Seit wann existiert das Kontakt-Programm?
- Boris Marte: Ich begann vor zweieinhalb Jahren hier zu arbeiten, richtig losgestartet sind wir mit dem großen Kontakt-Dinner in der Wiener Secession in diesem Frühjahr. Da wurde zum ersten Mal sichtbar, welche Philosophie hinter dem Programm steht, nämlich Menschen, Gruppen und Interessen zusammenzubringen, eben miteinander in Kontakt zu bringen und so Synergien und Zusammenarbeit zu ermöglichen. Das ist ein zusätzlicher Beitrag, den wir leisten wollen, um unsere Kooperationspartner einander näher zu bringen.

Christine Böhler: Als Beispiel sei der Filmbereich erwähnt, wo wir hier in Wien mit der Viennale zusammenarbeiten und in Pilsen ebenfalls ein großes Filmfestival unterstützen. Denn so nah das zwar geografisch oft ist, gibt es doch kaum Verbindungen.

Boris Marte: Nun gibt es einen weiteren zentralen Punkt in unserer Arbeit: Nachdem wir gemeinsam mit Rainer Fuchs vom Museum Moderner Kunst in Wien eine Evaluationsstudie über die bisherigen Kunstsammlungs- und Ankaufsaktivitäten der Bankengruppe erstellt haben, sind wir so weit, auf dieser Basis eine neue, zentrale Initiative zu setzen – aber auch diese wieder in einer „relationalen“ Form.
- Was heißt das konkret?
- Boris Marte: Das heißt, dass die Konzeptstrategie nicht vorsieht, herumzufahren, anzukaufen und zu lagern, sondern dass das, was in diese Sammlung in Zukunft hineinwächst, sofort wieder an die lokalen Kontexte, aus denen es hervorgegangen ist, zurückgespielt wird. Damit sollen dort gemeinsam mit unseren kuratorischen Netzwerken wiederum Interventionen, kleine Ausstellungen oder Publikationen realisiert werden können.
- Mit welchem Budget?
- Boris Marte: Das Ziel ist, pro Jahr gemeinsam 400.000 Euro aufzuwenden, um die Sammlung und die damit verbundenen Aktivitäten aufzubauen.
- Besteht mit diesem Konzept, „relational“ zu arbeiten, wie du sagst, nicht die Gefahr, dass ein zu großer Teil des Budgets von Organisations- und Strukturarbeit aufgefressen wird?
- Boris Marte: Ich glaube, das sind die Erfahrungswerte, die wir sammeln müssen. Aber wir werden sicherlich auch mit bestehenden Netzwerken – wie dem von tranzit z. B. – auf vorhandene Erfahrungen zurückgreifen können. „Relational“ bedeutet hier in Relation zur individuellen Situation, die jeweils existiert. Das ist genau unser struktureller Ansatz und den wollen wir in allem, was wir tun, auch durchziehen.

Christine Böhler: Es bedeutet sicher viel Aufwand, aber dafür ergibt sich die Chance, Dinge wieder in einen neuen Kontext zu bringen und auszustellen.
- Soll damit schwerpunktmäßig Kunst aus diesen Ländern gesammelt werden?
- Boris Marte: Das ist im Moment Gegenstand der Diskussion. Natürlich ist die Motivation für diesen Prozess aus den Komplexitäten und dem kunstgeschichtlichen Zusammenhang dieser Region heraus gewachsen. Der Fokus ist auf die zentral- und osteuropäischen Länder gerichtet. Wie, in welcher Zusammensetzung und mit welchen Inhalten, das ist eine Entscheidung, die die Jury treffen wird.
Ein gravierender Vorwurf, der einige extern organisierte Institutionen in diesem Raum oder Festivals wie die Manifesta 3 in der letzten Zeit getroffen hat, lautete, dass zu wenig mit lokalen Strukturen kooperiert und zu viel von außen bestimmt wurde.
- Wie stark hat diese jüngere Geschichte das Konzept des Programms beeinflusst?
- Boris Marte: Natürlich wollten wir genau mit Leuten zusammenarbeiten, die hier bereits Erfahrungen gesammelt hatten, um diese Fehler zu vermeiden. Man muss sich für jede Entwicklung sehr viel Zeit nehmen.
- Das klingt jetzt alles sehr uneigennützig: Aber was verspricht sich die Erste Bank darüber hinaus von dieser Art des Sponsorings?
- Boris Marte: Zwei Argumente: Unsere Aktivitäten unterscheiden sich sehr stark von den Marketing-Aktivitäten, die eine Bank setzen muss, um ihre Produkte zu verkaufen. Das, was wir im idealistischen Sinne erwarten, ist, dass wechselseitige Lernprozesse stattfinden bei den Menschen, die auch die Strategien und Entwicklungen eines Unternehmens umsetzen müssen. Das ist ein ganz großes Anliegen. Der zweite Punkt ist, dass mehr oder weniger alle Banken dieselben Produkte anbieten. Das Unterscheidungsmerkmal einer Bank hängt nun wesentlich damit zusammen, was man in ihrer Marke liest und wie sie sich bewegt.

Christine Böhler: Da geht es eben einerseits darum, die Autonomie der Projekte zu gewährleisten und andererseits, das Vertrauen zwischen den verschiedenen Akteuren aufrechtzuerhalten. Denn viele Projekte entwickeln sich geografisch sehr weit voneinander entfernt und da spielt das Vertrauensverhältnis eine große Rolle. Auch das Vertrauen der Künstler zu uns als doch „artfremd“.
- Wie viel Geld steht denn insgesamt für alle Aktivitäten zur Verfügung?
- Boris Marte: Man kann nie ganz genaue Zahlen nennen, weil in den verschiedenen Ländern weitere Summen ausgegeben werden. Aber in Österreich umfassen die Aktivitäten ungefähr zwei Millionen Euro pro Jahr.
- Wie würdet Ihr jetzt eure Arbeit selbst bezeichnen?
- Christine Böhler: Man kann die Arbeit ganz unterschiedlich anlegen. Sie hat etwas mit Kuratieren zu tun, aber auch sehr viel mit Produktion, mit Organisation, mit Schreiben, Konzeptarbeit und Marketing. Im Sinne von „curare“, pflegen. Da gibt es sehr viele Aspekte. Boris Marte: Dem habe ich nichts hinzuzufügen.


Boris Marte ist seit 2001 Leiter des Corporate Sponsoring der Erste Bank-Gruppe. Davor hat er in verschiedenen politischen und kulturpolitischen Positionen gearbeitet, u. a. bei Erhard Busek und bei Peter Marboe.

Christine Böhler arbeitet seit Anfang 2004 bei der Erste Bank-Gruppe. Sie hat als Wissenschaftlerin, Publizistin und Kuratorin gearbeitet und den Veranstaltungsbetrieb im Literaturhaus in Wien geleitet. 1996 hat sie die Lichtzeile konzipiert – eine Leuchtschrift als literarische Veröffentlichungsform, real im Wiener Stadtraum. 2001 erschien ihr Buch "Literatur im Netz. Projekte, Hintergründe, Strukturen und Verlage im Internet" (Triton Verlag).

Patricia Grzonka ist Kunsthistorikerin und Kunstkritikerin und lebt in Wien.


Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Oktober 2004
Link: REPORT online - Link: Wiener Secession -