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Geboren 1938 , Architekt und Stadtplaner, lebt in Berlin. 1976-1998 Professor an der TU Wien. Seit 1992 Baubüro in Montpellier, Frankreich. Seit 1993 Bürositz in Berlin in Partnerschaft mit Christoph Kohl.

New Urbanism – die Stadt als Produkt

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Rob Krier:
- Wie sieht Ihre persönliche Idylle aus?
- Ich lebe und arbeite sehr zurückgezogen, im Winter in der Großstadt, die restliche Zeit auf dem Lande. Aber mein Arbeitsplatz ist nie größer als ein Gartenpavillon. Da ich von jeher gewohnt war, meine Arbeit mit der Hand zu Papier zu bringen, hat mich das Computerwesen aus dem Architekturbüro vertrieben. Zum Glück erlauben mir die heutigen Medien, mich aus dieser trockenen Welt zurückzuziehen und mit Genuss meine erprobte berufliche Idylle zu bewahren. Diese wird oft genug durch das lächerliche Reisewesen meiner Berufssparte unterbrochen.
- Sie schaffen Sesshaftigkeit und sind selbst ein
Nomade?
- Ja, ich habe auch keine Heimat. Ich wurde in einem Land geboren, das keine Heimat sein kann – es ist zu klein. Aber eigentlich ist mein Beruf schuld. Ich habe nirgendwo eine berufliche Verankerung gefunden. Ich bin von meinem Beruf zum Nomaden verdammt.
- Daran kann aber nicht nur der Beruf schuld sein.
Peter Zumthor arbeitet doch auch sehr ortsbezogen.
Ist speziell der Städtebau schuld am Nomadentum?
- In Berlin, wo sich unser Bürositz befindet, ist weder
meine städtebauliche Philosophie noch meine der Mode gekommen. Dasselbe war mir vorher in Wien passiert. So wird man gezwungenermaßen zum Berufsnomaden. Zum Glück kann ich mit den lokalen und regionalen Berufsschlappen ganz gut leben, da sich bis jetzt noch immer Ersatz gefunden hat. Der Vergleich mit Zumthor hinkt etwas. Er hat eine präzise Heimat in der Schweiz, und aus dieser Verankerung erwächst ihm sicherlich eine Menge Kraft. Dieser Bezug fehlt mir ganz. Meinem Partner Christoph Kohl, der aus Südtirol stammt, dürfte es ähnlich gehen. Unsere städtebauliche Arbeit, die oft in sehr vagen Studien beginnt, zieht sich über große Zeiträume hin, mit oft ungewissem Ausgang. Sie kann durch politische Veränderungen wechselhaft beeinflusst werden. Selten treten persönlich haftende Ansprechpartner auf, die oft schnell in andere Funktionen wechseln.
- Es gibt also nie Ansprechpartner oder Kunden für Sie?
- Der klassische Bauherr alter Prägung ist für uns selten erlebbar. Mit den zukünftigen Bewohnern unserer Häuser kommen wir vor der Fertigstellung so gut wie nie in Kontakt. Erst nach Einzug derselben können wir erfragen, ob sie mit unseren Konzeptionen zufrieden sind. Wenn die Häuser sich frühzeitig gut verkaufen, ist dies schon ein positiver Hinweis.
- Haben Sie eine Vorstellung von der Perfekten Location
für Ihre “community”?
- Schauen Sie, eine bestimmte Art der Perfekten Location,
die bei dem Symposion diskutiert wurde, ist der
amerikanische Kitsch. Dieser ist für uns Europäer nicht
verständlich. Damit wird auf unbegreifliche Art der
private Lebensstil vorbestimmt, der konsumiert wird.
Es geht dabei weniger um den Luxus, den man
bezahlen kann, sondern man kauft sich in eine Schicht
ein, die verpflichtet mitzumachen – ob das jetzt im
Turnverein, im Tanzverein oder auch bei der Nachbarschaftshilfe ist – wenn man das nicht will, wird man
wieder ausgesondert. Für mich ist diese Perfekte Location nicht geplant, weil ich das noch nie in der Praxis erlebt habe. Wenn Sie in Ihrem Leben nur sozialen Wohnungsbau gemacht haben, dann kennen Sie die Nöte der Leute, die unter diesen Umständen einquartiert werden. Wir bieten normale Lebensqualität, nicht so sehr Artifizielles an.
- Eine Location wie Ihre, wahrscheinlich europäische,
zieht eine bestimmte Gesellschaftsschicht an? Welche ist das Ihrer Meinung nach?
- Natürlich basiert die Stadt, die wir propagieren, auf der europäischen Stadtkultur. Wenn wir in Holland planen, respektieren wir zusätzlich die regionale Tradition. Die Rückkehr der Bevölkerung in die Stadtkerne entspricht ganz allgemein einem tief verwurzelten Bedürfnis nach sozialer Geborgenheit oder sozialem Komfort. Die Kinder sollen nicht vereinsamen, das Angebot an Ausbildung sich erhöhen, das kulturelle Angebot sich vielfältiger gestalten, die tägliche Versorgung sich vereinfachen. Die Gesellschaftsschichten, die die Stadt brauchen, sind kreativ und dynamisch veranlagt. Sie scheuen sich nicht, wie im Fall von Brandevoort, auf eine Baustelle zu ziehen, Hauptsache, sie können an der Neugestaltung einer wachsenden Stadt mitwirken. Sie wollen die Stadt auch nicht ausschließlich zum Wohnen und Schlafen benutzen, sondern dort auch arbeiten. Die Bewohner, die sich in Brandevoort angesiedelt haben, gehören natürlich zuallererst zu denjenigen, die sich einen Hauskauf finanzieren können. Aber viel wichtiger ist die Tatsache, dass zumeist junge Familien einen Wohnort suchen, wo ihr ausgesuchtes Haus einen unverwechselbar individuellen Charakter hat und der Wohnort wieder wie eine normale Stadt aussieht, die mit der Qualität alter Städte durchaus vergleichbar ist und dazu auch noch von der Gestalt her typisch holländisch aussieht. Ich fand in Gesprächen mit Bewohnern heraus, dass die meisten auf der Suche nach einem alten Haus in einem historischen Ortskern waren. Sie suchten eine dichte, städtische Wohnsituation mit allem urbanen Komfort, und nicht das verlorene, isolierte Einfamilienhaus. In Holland kann sich eine junge Familie schon mit 30 Jahren ein Haus finanzieren, in Deutschland erst mit über 40.
- Die Leute wählen also bewusst die Situation, die Ihre Stadt bietet. Macht man Werbung für Ihre Stadt?
- Sicher, und zwar in ganz beträchtlichem Umfang. Unsere Stadtkonzeption war für die Entwickler eine Novität, deren Akzeptanz noch nicht erprobt war. Dies betraf vor allem den sehr dicht geplanten Stadtkern mit seinen geschlossenen Blockstrukturen und der massiven Aufreihung von sehr schmalen und hohen, typisch holländischen Stadthäusern. Durch intensive Werbekampagnen wurde die Neugierde der potenziellen Kunden geweckt. Ich musste öfter bei solchen
Veranstaltungen meine Philosophie erläutern. Diese Erlebnisse waren für mich viel bewegender als Vorlesungen vor einem akademischen Publikum. Auf einer Industriemesse in Helmond wurde mit naturgroßen Fassadenfotos ein Platz simuliert, ähnlich einer Theaterkulisse. Bei der Verkaufsveranstaltung des ersten Baublocks mit ca. 50 Häusern meldeten sich 700 Kandidaten. Während einer Zugreise in Holland lernte ich jemand kennen, der sich zwei Jahre vergeblich um einen Hauskauf im Zentrum von Brandevoort bemüht hatte und der bei der letzten Auswahl immer durchgefallen war. Schlussendlich hatte er sich ein altes Haus in Utrecht gekauft. Das Problem unserer neuen Städte heute ist, dass sie in ihrer Gestalt keinem Qualitätsvergleich mit alten Städten standhalten.
- Vielleicht, weil das Neue andere Qualitäten hat. Als Sie beim Symposion über Ihre Projekte sprachen, haben Sie argumentiert, dass moderne Architekten eine ewige Gleichheit produzieren. Ihre Städte sind doch auch auf Ähnlichkeit aufgebaut.
- Die traditionelle Stadt ist aus typologisch gleichen oder ähnlichen Elementen aufgebaut, dies betrifft die Grundrisse wie auch Fenster, Türen, Tore, Treppen, Balkone, Loggien, Terrassen, Dächer usw. Die Vielfalt der kompositionellen Ordnungen dieser Elemente war vor dem Industriezeitalter berauschend. So entstanden Städte, ob reich oder arm, deren ästhetischer Genuss für uns heute noch ungebrochen ist. Mit wenig Eingriffen lassen sich diese Orte unseren modernen Ansprüchen anpassen. Unsere neuen Städte sind durch banale Addition gleicher Teile gekennzeichnet. Keine moderne Stadt hat die Qualität alter Städte erreicht. Diese Erfahrung muss uns bedenklich stimmen. Da die Städteplaner zu einem kritischen Umdenken noch nicht bereit scheinen, werden wohl die Architektur- Nutzer sie dazu bewegen müssen.
- Die Aufgabe besteht aber nicht nur darin, den Bedarf zu stillen. Haben Sie keinen Anspruch, ein wenig pädagogisch zu wirken und nicht nur scheinbare Marktwünsche zu erfüllen?
- Natürlich habe ich den, ich will Haustypologien anbieten, die sich addieren und anpassen lassen. Meine Intention ist, für die Leute erkennbare Stadtkörper entstehen zu lassen. Ortschaften, und keine Siedlungen. Das soziale, das räumliche und das ästhetische Konzept müssen stimmen. Dazu und wandelbar sein. Sie muss den Bedürfnissen kommender Generationen gerecht werden. Sie darf kein erstarrtes Monument sein. Ihre Gestalt muss typenhafte Qualitäten haben, die vielerorts zur Nachahmung anregen. Hierin liegt der didaktische und pädagogische Aspekt unserer Arbeit. Ohne Befriedigung der Marktbedürfnisse gibt es überhaupt keine Bauaktivität.
- Sie sprechen von Wiedererkennung der Qualität früherer Bauweise. Was bieten Sie mit Ihren Städten, die auf traditionellen Strukturen und Stilmitteln aufbauen, Ihren Kunden an? Ein Image oder Städte mit großen Plätzen, Kirchen und Häusern mit individuellen Fassaden?
- Ich will für jede Familie ein erkennbares “Ich” produzieren – nicht verwechselbar mit dem Nachbarhaus –, also kein Serien- oder Massenprodukt, sondern ein sehr individuelles Haus. Das Problem ist natürlich, dass wir unsere Kunden aufgrund der sehr schnellen Bau und Planungsprozesse nicht kennen. So versuchen wir, unser Repertoire möglichst breit zu halten und eine große Auswahl anzubieten.
- Städtebau birgt für Eitelkeit wenig Platz?
- Absolut, mein Beruf gibt der Eitelkeit keine Chance. In meiner langen Lehrtätigkeit in Wien habe ich keine Nachfolger züchten können. Weil die jungen Leute mit dieser zurückgenommenen persönlichen Ambition nicht glücklich werden. Mit dieser einfachen Dialektik ist es schwer, ein Star zu werden oder eine architektonische Karriere aufzubauen. Alle wollen besonders sein, etwas Besonderes machen und sich von der Norm abheben. Das ist nicht nur meine pädagogische Schwierigkeit, sondern das ist auch die Schwierigkeit der jetzt agierenden, bauenden und planenden Generationen von Architekten – eine Sprache zu formulieren, die zum Gebrauch wird.
- Wieso nähern Sie sich auf so traditionelle Weise dem Städtebau? Gibt es nicht neue Konzepte, die einer modernen Gesellschaft mehr entsprechen würden?
- Wenn wir eine moderne Sprache hätten, die, adäquat zu der alten, die Häuser genauso schön und noch schöner hinstellen ließe, wäre das ein Wunder. Die Stadt muss zu einer Einheit führen, wie ganze Epochen vor uns das auch fertig gebracht haben. Wie hier in Graz: Die Altstadt hat 20.000 Häuser, und keiner kennt die Architekten. Handwerker und Baumeister mit unglaublichem Können, die in einer Generation die gesamte Stadt überformt haben, waren die Gestalter. Wenn unsere Generation zu so einer Sprache finden könnte und in der Lage wäre, eine Stadt wie Graz neu zu schaffen … Können Sie sich das vorstellen? Wir sind doch lebendig und müssen in der Lage sein, eine Stadt zu transformieren. Besser, als sie heute ist, sonst hat’s keinen Sinn, sonst müssen wir das Weltkulturerbe so bestehen lassen und eine neue Stadt daneben bauen.
Wir können zwar mit unserer Materialvielfalt alles
machen, sind aber dennoch nicht weiter gekommen
als die Baumeister vor uns.
- Wie funktioniert eine Planung nach Ihrem System? Braucht Städtebau ein autoritäres System?
- Ja, zumindest eine vom Gesetz gestützte Handlungsfähigkeit. Ich habe es in Brandevoort einfach, weil die Gemeinde mich unterstützt – es ist genau das, was sie wollen.
- Warum gibt es solche stilistischen Elemente wie einen Kamin? Das ist doch reine Fälschung. Ist das Funktionalismus?
- Das ist auch funktional gedacht. Wir als Architekten wissen nicht, ob jemand einen eigenen Kamin will. Aber man wohnt schließlich auf dem Land, und es könnte Leute geben, die nicht nur fernsehen wollen, sondern lieber in das beruhigende Feuer schauen. So weiß man wenigstens, wo der Platz dafür ist – einrichten muss man sich das dann selbst. In meiner Lehrtätigkeit in Wien ging es immer darum, auf die Messbarkeit einer architektonischen Sprache im Gebrauch hinzuweisen. Dass eine Tür als Tür erkannt wird, ein Fenster als Fenster, ohne die Art der Verfremdung, die die Erkennbarkeit trübt.
- Und funktioniert die Identität? Und wie reagiert man darauf?
- Ich weiß, dass es funktioniert – aber das ist natürlich eine Hypothese. Es kommt auf das Produkt an. Mit meinem Thema und meinen Häusern schaffe ich eine Sequenz, die immer anders ist. Ich gestalte räumliche Figuren, der Platz hat eine gewisse räumliche, erkennbare Struktur, und die Orte davor, die Portale und die Kompositionselemente – das sind alles Dinge, die Sie in einer Stadt gebrauchen können. Im Wesentlichen geht es darum, Wege interessant zu machen. Das versuche ich zu planen. Wie es später funktionieren wird, kann ich nicht sagen. Diese Stadt wird natürlich wachsen, sie ist nicht ästhetisch festgefahren.
- Mit einem Architekten kann man also keine Stadt bauen? Liegt das an der vorher angesprochenen Eitelkeit?
- Das ist die Wirklichkeit! Die jungen Architekten sind noch offen, sind flexibel, wollen noch mitspielen. Sie wissen auch noch aus der Erinnerung von ihrem Zuhause, wie ein Haus aussieht. Sie haben noch nicht das Maschinendenken der Designer, die bei uns ausgebildet werden. Ich versuche immer mit vielen zu arbeiten, damit ein natürlich gewachsenes Produkt entsteht. Die Strategie, so Stadt zu bauen, würde für einen kommerziellen Architekten den finanziellen Ruin bedeuten. Ich habe als junger Architekt zwei Jahre an einem Einfamilienhaus gezeichnet und riesige Modelle gebaut, und dann wurden sie doch schlecht ausgeführt – eine Misere. Ich bin niemals so verwöhnt gewesen wie viele der jungen Grazer hier und hatte niemals in meinem Leben so viel Geld für einen Bau zur Verfügung. Ich finde das im Prinzip bewundernswert.
- Aber Sie haben als Städtebauer ein größeres Arbeitsfeld.
- Die Wirkung in der Zeit ist sicherlich imposanter als das Erfinden eines einzelnen Hauses. Der Stadtgrundriss überlebt die meisten historischen Umwälzungen. Seine künstlerische Qualität verbirgt sich hinter der Dominanz des Gesamtkunstwerks. Seine Ausstrahlung bleibt generell und anonym. Die künstlerische Ausstrahlung des städtebaulichen Ensembles reicht nicht an diejenige der großen Architekturmonumente heran. Ein Beispiel: In Florenz verblasst der Eindruck des städtebaulichen Umfelds, wenn man vor dem Battistero steht, dessen einmalige architektonische Qualität alles andere herum vergessen lässt. Ein paar Meter weiter wird man von demselben Schock beim Anblick der Domkuppel überrascht.
- Warum glauben Sie, dass Menschen Symbole in Form von Monumenten brauchen?
- Alles Gebaute ist vergänglich. Von allen Kulturen, die untergegangen sind, sind meistens Bruchteile von Kultstätten erhalten. Aus diesem Behüten, Bewahren und Schützen von symbolträchtigen Bauten erkennt man den Wert, den sie für die Völker von jeher bedeuteten. Unsere Zeit ist symbolarm. Ich bin überzeugt, dass sich künftige Generationen neue Bedeutungsträger schaffen werden, die dann als besonders wertvolle Architekturen das Meer der trivialen Funktionsbauten wieder überstrahlen werden.
erschienen in der Buchpublikation HDAX 02