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Ein Gespräch mit Klimt-Experte Tobias G. Natter, Kunsthistoriker, Kustos der Österreichischen Galerie Belvedere Wien und Autor zahlreicher Fachpublikationen.

„Klimt ist Exportschlager österreichischer Kulturpolitik.“

redaktionsbüro: Antje Mayer
Tobias G. Natter:
- Der österreichische Künstler Gustav Klimt lässt sich offensichtlich bestens vermarkten: Seine Bilder erreichen Phantasiepreise bei Auktionen. Klimt-Spielkarten, Klimt-Krawatten oder Klimt-Uhren sind vergleichsweise noch die harmlosesten Kitschdinge, mit denen Geld umgesetzt wird. Nun soll das Leben des Künstlers mit Hollywoodstar John Malkovich und Veronika Ferres verfilmt werden. Droht der Ausverkauf von Klimt?
- Wenn Sie die Top Ten des internationalen Kunstmarkts anschauen, zu denen Picasso, Miro, Monet, Warhol oder eben Klimt zu zählen sind, dann beobachtet man dort ähnliche Tendenzen. Ein Blick in die Internetbörse ebay genügt, um sich von den skurrilen Auswüchsen dieser Marketingstrategie zu überzeugen. Aber diese internationalen „Lieblinge“ unterliegen Schwankungen. Es könnte sein, dass der Klimt-Boom sich als eine Art Modeerscheinung erweist, die auch wieder vorbeigehen kann.
- Ist das massentaugliche Thema Klimt aus kunsthistorischer Sicht nicht längst ausgelutscht?
- Diese Meinung vertritt mancher meiner Kollegen, aber ich teile sie nicht. Allerdings ist Klimt seit vielen Jahren der Exportschlager der österreichischen Kulturpolitik schlechthin. Dabei wird ein Bild von „Wien um 1900“ gezeichnet, das beschönigt und idealisiert ist.
- Und diese Fin-de-Siècle-Romantik muss hinterfragt werden?
- Genau. Und dahingehend gibt es noch viele offene Fragen. In der kommenden Ausstellung „Die nackte Wahrheit. Kunst und Skandal in Wien um 1900“ in der Schirnhalle Frankfurt (28.1- 24. 4. 2005) will ich zeigen, dass Wien damals nicht nur Ort des künstlerischen Aufbruchs war, der großartige Kunst hervorbrachte, sondern in der Darstellung von Körper und Nacktheit massiv Grenzen überschritt und dauerhaft verschob. Inmitten der katholisch-konservativen Grundhaltung der Stadt, griffen die Künstler Tabus auf, wobei sogar Homosexualität, Masturbation oder Androgynität thematisiert wurden. Inhalte, die bis heute an Aktualität nicht eingebüßt haben. Kurzum: Die Fin-de-Siècle-Künstler waren damals weniger romantisch veranlagt, weniger obrigkeitshörig, moderner und kompromissloser, als manche Wien-Vermarkter heute wahrhaben möchten.
- Welche Rolle spielte Klimt dabei? Die des Aufrührers oder die des Angepassten? Klimt sorgte zwar wegen seiner sexuellen Eskapaden und Darstellungen von Nacktheit für Skandale, war aber zeitlebens schon der bestverdienende Künstler Europas? Wie passt das zusammen?
- Als junger Mann war Klimt ein erfolgreicher Karrieremaler. Mit nicht einmal dreißig Jahren bekam er schon von öffentlicher Stelle prestigeträchtige Aufträge für die Repräsentationsbauten an der Wiener Ringstraße. Er arbeitete an der Ausstattung des Kunsthistorischen Museum mit schuf die Deckenbilder im Stiegenhaus des Burgtheaters. Die Wende kam mit dem Skandal um die Fakultätsbilder für die Universität Wien, an denen er lange, ein Jahrzehnt, gearbeitet hatte. Als sie fertig sind, ist Klimt ein anderer.
- Was passiert dann?
- Von da an kommen die Aufträge nicht mehr vom Staat, sondern von einem kleinen Kreis enorm betuchter Sammler. Viele davon wurden während des „Dritten Reichs“ als Juden geächtet und verfolgt. Klimt war übrigens, entgegen vieler Behauptungen, auch im Nationalsozialismus kein Verfolgter. 1943 fand im Wiener Künstlerhaus posthum die größte Klimt-Ausstellung im 20. Jahrhundert statt.
- Die Nähe der Mächtigen, waren sie es durch Staatsgewalt oder Geldbesitz, war Klimt offensichtlich wichtig und vertrug sich gut mit seinen Händchen für Selbstvermarktung, zu der sexuelle Exzesse gehörten wie heute bei Rockstars...
- Gustav Klimt stand den praktischen Dingen des Lebens ziemlich unbeholfen gegenüber, war kein Stratege und nicht politisch. Er hat sich so gut wie nie über sich selbst geäußert und keine theoretischen Schriften hinterlassen. Er war aber bestens eingebunden in ein hocheffizientes Netzwerk und bewegte sich hinter einem schützenden Schirm von Unterstützern und Meinungsmachern wie etwa dem Malerkollegen und Organisationsgenie Carl Moll und die Kunstkritikern wie Hermann Bahr und Ludwig Hevesi. Klimt drückte seine Haltung eben durch seine freie Darstellung von Körper und Sexualität aus und lebte sie kompromisslos.
- Manche finden, dass Klimt`s kunsthistorische Bedeutung überschätzt wird...
- Klimt galt schon zu Lebzeiten als der Hauptvertreter des Wiener Jugendstils. Aber er hatte keine Schüler. In gewisser Weise ist sein Werk Höhepunkt und Endpunkt einer Entwicklung.
Literatur zum Thema:
Natter, Tobias, G., „Die Welt von Klimt, Schiele und Kokoschka. Ihre Sammler und Mäzene., Dumont Literatur und Kunst Verlag, 2003, bei amazon ab Euro 49,50 (ab Herbst zum halben Preis).

Schirn - Kunsthalle Frankfurt -