Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




„Wir sind demokratiepolitisch um 15 Jahre zurückgefallen“

redaktionsbüro: Barbara Tóth
Blaž Zgaga:
- Slowenien galt lange Zeit als die Schweiz Südosteuropas. Sie sind Mitinitiator einer Petition gegen politische Zensur und Druck auf die slowenischen Medien. Müssen wir das Bild, das wir vom Musterland Slowenien haben, überdenken?
- Definitiv. Ich erinnere mich, dass in der Phase der Unabhängigkeit die Schweiz sogar als Vorbild genannt wurde. Die EU brauchte ein ehemaliges Ostblockland, das den Umstieg vom Sozialismus mustergültig geschafft hat. Und die Slowenen wollten sich dem Ausland als brave, hart arbeitende, fleißige und gute Nation präsentieren. Viele kleine Nationen haben ein nahezu obsessives Verhältnis zu dem Bild, das von ihnen in den ausländischen Medien gezeichnet wird. Das ergab eine schöne Symbiose. Aber die Realität schaut anders aus. 571 Journalisten haben die Petition gegen politische Zensur unterzeichnet. Es sind aber nicht nur Journalisten, die mit der Regierung Probleme haben. 70.000 Menschen nahmen an einem Protest der Gewerkschaften im November teil – das sind mehr als drei Prozent unserer Gesamtbevölkerung. 70.000 Lehrer, Professoren und andere unterzeichneten eine Petition gegen eine Bildungsreform, die öffentlichen Schulen die Basis entzieht. Der Bildungsminister antwortete mit Zynismus: Die Unterzeichner hätten offenbar nicht gewusst, was sie da unterschreiben. Slowenische Richter drohen mit Streik, weil die Regierung die Freiheit der Justiz nicht achtet. Viele Berufsgruppen spüren die politischen Interventionen. Sie sind inzwischen fast normal und reichen bis zu den unteren Ebenen. Nicht nur in den Ministerien, der Polizei, dem Militär, der Staatspolizei. Auch andere öffentliche Bereiche stehen unter politischem Druck. Die Kluft zwischen Sloweniens Image und der Realität wird also immer größer.
- Sie beklagen den Druck der Politik aus Sloweniens Medien. Was genau passierte in den letzten Monaten in dieser Branche?
- Seit dem Jahr 2004, also seitdem Premier Janez Janša regiert, sind beinahe alle slowenischen Medien unter Druck geraten. 2005 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das den Staatseinfluss auf die zwei öffentlich-rechtlichen Fernsehstationen und drei Radiokanäle erhöhte. Von den 29 Mitgliedern der Programmkommission, die sehr einflussreich ist, werden 21 vom Parlament bestimmt, und natürlich wurden nur linientreue Personen nominiert. Die Folge: Die Qualität in den öffentlichen Medien nahm ab, eine Reihe von renommierten Journalisten verließ die Sender. Ihnen folgten Jungjournalisten mit wenig Erfahrung nach. Dazu kommt, dass die slowenische Presseagentur von der ehemaligen Pressesprecherin Janšas geführt wird. Mit ihr kamen Journalisten aus der SDS-Parteizeitung in wichtige Positionen. Die Agentur ist sehr wichtig für Sloweniens Tageszeitungen. Zensur, Manipulation und professionelle Fehler sind häufig. Auch der private Zeitungsmarkt steht unter starkem Regierungseinfluss. Im Jahr 2005 kaufte sich die Regierung über den „Laško“-Bierkonzern in die Tageszeitungen „Delo“ und „Večer“ ein. 2007 wurde diese Kooperation dann beendet. Und bei „Primorske Novice“ wurde der Chefredakteur ausgetauscht, auf Druck von drei Aufsichtsräten, die staatsnahen Shareholders des Blattes angehören. Die Geschäftsführerin hatte sich geweigert, den Personalwechsel vorzunehmen, und wurde gefeuert. Die unabhängigen Zeitungen leiden unter Anzeigenstornierung von Unternehmen im staatsnahen Bereich. Die Tageszeitung „Dnevnik“ verlor etwa eine Million Euro pro Jahr.
- Offensichtlich haben die Machthaber ein Problem mit Kritik. Hat das Land bei allen ökonomischen Erfolgen vergessen, Demokratie nachzulernen?
- Momentan ist es schwierig, eine seriöse Debatte über die Umbruchphase nach 1989 zu führen, weil die Regierung alle Proteste, sei es jene der Arbeiter oder jene der Intellektuellen, ignoriert. Was jetzt passiert, sehe ich als Signal dafür, dass wir nicht auf dem richtigen Weg waren und sind. Wir haben etwa nie eine ordentliche Diskussion über unsere Vergangenheit geführt. Die politischen Eliten waren viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Plätze an der Macht zu finden und Geld zu verdienen, als sich Gedanken über Zukunftsfragen zu machen.
- Stichwort Vergangenheit: welche Themen muss Slowenien da noch aufarbeiten?
- Ich fürchte, gerade in der jüngsten Vergangenheit gibt es einiges, was aufgearbeitet werden müsste. Von 1991 bis 1993 wurden Tausende Tonnen an Waffen und Munition durch Slowenien nach Kroatien und Bosnien-Herzegowina geschleust. Rund 20 Schiffe verließen den Hafen Koper laut offiziellen Quellen. Das war eine ganz klare Verletzung des UN-Waffenembargos. Aber was noch wichtiger ist: Die Waffen wurden um Millionen an Bargeld verkauft, aber eine parlamentarische Untersuchung fand nur 10.000 Mark auf dem Konto des Verteidigungsministeriums, das die Transporte organisierte. Bis heute ist unbekannt, wohin der Rest des Geldes floss und wer davon profitierte. Einige Slowenen profitierten vom blutigen Balkankrieg, aber dieser moralische Skandal wurde niemals wirklich untersucht. Die slowenische Politik behandelt das Thema wie eine Art Inzestfall in der eigenen Familie. Alle wissen, dass etwa falsch lief, aber niemand will darüber reden, weil man sich geniert, was dann die Nachbarn sagen werden. Spomenka Hribar, eine der wichtigsten moralischen Autoritäten in meiner Heimat, warnte, dass dieser Skandal zu einem ähnlichen kollektiven Trauma werden könnte wie die Massenexekutionen nach dem Zweiten Weltkrieg.
- Sehen Sie auch in Slowenien die Gefahr der Ostalgie, also eine Sehnsucht nach der guten, alten kommunistischen Zeit?
- Nostalgie gibt es natürlich. Was sonst kann ein Arbeiter fühlen, der von früh bis spät werkt, aber dennoch die Hilfe des Roten Kreuzes oder anderen humanitären Organisationen braucht, um zu überleben? Je härter die Situation für die arbeitenden Menschen wird, desto größer wird die Nostalgie werden.
- Schuld daran ist auch die hohe Inflation. Sie hat einerseits globale Ursachen, wie die Preissteigerung für Lebensmittel am Weltmarkt. Gibt es aber auch hausgemachte Inflationstreiber?
- Offiziell liegt die Inflation bei 6,5 Prozent, das ist doppelt so hoch wie der EU-Durchschnitt. Wir befinden uns derzeit eben nicht nur an der EU-Spitze, wenn es um die Ratspräsidentschaft geht. Die Lebensmittelpreise stiegen gar um mehr als 30 Prozent. Das ist ein riesiger Schock für die niedrigen Einkommensschichten, die einen großen Teil ihres Einkommens für Essen und Basisgüter ausgeben müssen. Mit ein Grund dafür ist, dass es auf dem kleinen slowenischen Markt zu wenig Wettbewerb gibt und die Politik nicht richtig reagiert.
- Kümmert es die Slowenen, dass sie die EU-Präsidentschaft innehaben?
- Abgesehen davon, dass die Regierung ein 15 Millionen Euro teures Konferenzzentrum in Brdo, abseits Ljubljanas, gebaut hat, berührt die EU-Präsidentschaft das Alltagsleben nicht. Ich glaube, dass die Slowenen generell nicht sehr beeindruckt von der „Präsidentschaft“ sind. Sie haben einfach andere Probleme. Etwa, wie sie mit stagnierenden Löhnen und raktenhaften Preisen überleben können.
- Zusammengefasst, was fehlt Slowenien, demokratiepolitisch gesehen, am meisten?
- Vertrauen in Rechtssicherheit. Die Verzögerungen an den Gerichten sind immens, die Menschen glauben nicht mehr an ihr Recht. Auch wir Journalisten haben den Gesetzen nach viele Rechte. Aber was nutzt es, wenn die Gerichte diese Rechte nicht umsetzen und es Jahre dauert, bis ein Urteil gefällt wird? Den Menschen fehlt das Selbstbewusstsein, sie haben Angst vor den Mächtigen, weil sie spüren, dass der Staat nicht sie, die Schwächeren, sondern die anderen schützt. Ich habe den Eindruck – und ich bin nicht der Einzige – dass Slowenien in den letzten vier Jahren einen demokratiepolitischen Rückschritt von 15 bis 20 Jahren durchgemacht hat. Ich hoffe, wie brauchen nicht genauso lange, um alles wieder gut zu machen.
Blaž Zgaga schreibt für die slowenische Tageszeitung „Vecer“.

Barbara Tóth ist Journalistin und Buchautorin in Wien. Sie schreibt für die Wiener Wochenzeitung „Falter“ und die „Basler Zeitung“ über österreichische Politik und Mitteleuropa.


Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,März 2008

REPORT online -