Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




Küche, Kinder, Kommunismus

Marija Wakounig ist Professorin am Institut für Osteuropäische Geschichte in Wien, Historikerin und Herausgeberin der Essaysammlung „Die gläserne Decke. Frauen in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa im 20. Jahrhundert“.

redaktionsbüro: Antje Mayer
Marija Wakounig:
- Wie war es um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in den Ländern des einstigen Ostblocks und im ehemaligen Jugoslawien bestellt ?
- Es ist immer noch ein großes Problem, das im Nachhinein zu beurteilen, da bis heute nicht ausreichend Zahlen, Studien und wissenschaftliche Publikationen zum Thema Genderforschung in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa vorliegen, auch wenn sich in diesem wissenschaftlichen Bereich in den vergangenen Jahren enorm viel getan hat, es einen regen wissenschaftlichen Austausch zwischen ost- und westeuropäischen Forscherinnen gibt und dadurch inzwischen auch der besonders von den Südosteuropäerinnen beklagte „westliche Methodenimperialismus“ etwas zurückgedrängt werden konnte. Man darf nicht vergessen, dass der aktuelle Genderdiskurs in den ost-, ostmittel- und südosteuropäischen Ländern nicht aus einer politischen Frauenbewegung heraus – wie im Westen – entstanden ist. Die Frauengruppen waren im Kommunismus ja staatlich gelenkt.
Zur Frauen- und Genderthematik im gesamt­osteuropäischen Raum gibt es nicht viele Publikationen. Das von mir im Jahr 2003 herausgegebene Buch „Die gläserne Decke. Frauen in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa im 20. Jahrhundert“, an dem meine in- und ausländischen Kolleginnen und Kollegen mit ihren Beiträgen mitgewirkt und anlässlich dessen sie mit mir gemeinsam eine Ringvorlesung gehalten haben, kann in dieser Hinsicht als erste deskriptive Synthese betrachtet werden.
- Wie viel wusste man im Osten über die Frauenbewegungen im Westen?
- Es gab durchaus Kontakte mit westlichen Frauenbewegungen, besonders kurz vor der Wende in den achtziger Jahren. Die Situation war aber für die Aktivistinnen sehr schwierig. Dissidentinnen aus Leningrad publizierten zum Beispiel 1979 in Paris im Samizdat – also im Eigendruck im Untergrund – einen Bericht, der über die Ungleichheit der Frauen in der Sowjetunion informierte, die schlimmen Zustände in den Abtreibungskliniken und die Brutalität der Männer gegenüber den Frauen innerhalb der Familie anprangerte, was sie mit dem großen Problem des Alkoholismus in der Sowjetunion in Zusammenhang brachten. Die Verfasserinnen wurden vom KGB observiert und 1981 aus diesem Grund sogar des Landes verwiesen. Natalija Rimasewskja beschrieb 1968/69 in einer empirischen Erhebung für die Stadt Taganrog etwa, dass Frauen mit Kindern beruflich weniger Chancen eingeräumt, sie deutlich schlechter bezahlt würden und so weiter. Diese Studie konnte erst 20 Jahre später veröffentlicht werden.
- Im Allgemeinen war man doch in den kommunistischen Ländern dem Westen hinsichtlich der Gleichberechtigung von Frau und Mann um einiges voraus?
- Was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass der Erste Weltkrieg und die Nachkriegsordnung in den meisten osteuropäischen Ländern einen sogenannten Turn-around auslösten, als sich herausstellte, dass die weibliche Bevölkerung die soziale Infrastruktur und das gesellschaftliche Leben aufrechterhalten hatte. Aus ihren „Verdiensten für die Menschlichkeit“ und ihrem Revolutionseinsatz in Russland konnten die Frauen in den meisten osteuropäischen Ländern „Kapital“ schlagen, und sei es nur das Wahlrecht gewesen. An den alten Rollenbildern änderte das freilich nicht viel. Vollkommen ausgeschlossen waren die Frauen in Jugoslawien. Sie durften erst ab 1946 wählen. Besonders liberal zeigte man sich in der Zwischenkriegszeit aber in Russland beziehungsweise in der Sowjetunion, wo 1917 immerhin die Zivilehe eingeführt, das Scheidungsrecht liberalisiert, 1918 die Geschlechtergleichheit im privaten und öffentlichen Leben verankert und 1920 sogar der Schwangerschaftsabbruch freigegeben wurde.
- Und blieb es dabei?
- Etwas verkürzt kann man sagen, dass es in den dreißiger Jahren im gesamten osteuropäischen Raum – in Folge der sozioökonomischen Veränderungen – zu einer Aufwertung traditioneller Rollenbilder kam. Der spürbare Geburtenrückgang führte zu unterschiedlichen staatlichen Gegenmaßnahmen: In der Sowjetunion zum Beispiel kriminalisierte man die Abtreibung aus demografischen Gründen wieder und propagierte seit 1935 vermehrt den Stellenwert der Familie als sozialistischen Mikrokosmos für die sowjetische Gesellschaft. Stalin schrieb 1936 in einem Beitrag für die Zeitung „Rabota“, dass Kinderkriegen keine Privatangelegenheit, sondern eine ehrenvolle Pflicht der Frau sei. Den „Ženskij vopros“ – die Frauenfrage – sah man zu dieser Zeit offiziell als „gelöst“ an. Im Königreich Jugoslawien zum Beispiel wurden Alleinlebende beziehungsweise kinderlose Paare höher besteuert und Mehrkinderfamilien gratifiziert. In Slowenien befasste sich eine Publikation mit dem drohenden „biologischen Selbstmord einer Nation“ und wies den „selbstsüchtigen“ Frauen die Schuld daran zu.

- Sowjetische Frauen galten bis in die achtziger Jahre geradezu als Weltmeisterinnen des Schwangerschaftsabbruchs. Stimmt das auch wirklich?
- Die Aufklärung bezüglich der Empfängnisverhütung war schlecht. Es gab keine Pille und die Qualität der Kondome ließ zu wünschen übrig. Abtreibung stellte die meistverwendete Methode der „natürlichen“ Geburtenregelung dar. Sie wurde oft unsachgemäß durchgeführt, war gesundheitsschädigend und verlief häufig tödlich. Gesellschaftlich war die Abtreibung offiziell nicht akzeptiert, sie wurde als letzter Ausweg bei medizinischer Indikation angesehen. Die Praxis sah in der Sowjetunion aber anders aus.
- Wie war es um die Gleichberechtigung von Mann und Frau in den drei Jahrzehnten vor der Wende 1989 in der Praxis bestellt?
- Die Sozialleistungen und das Bildungsniveau der Frauen waren in den kommunistischen Ländern bekanntlich gut. Es gab ein liberalisiertes Ehe-, Namens-, Wahl- und Abtreibungsrecht. Das ermöglichte den Frauen auf den ersten Blick – anders als teilweise anfangs im Westen – mehr Gleichberechtigung bezüglich der Männer, besonders in den siebziger und achtziger Jahren. Kindertagesstätten waren unentgeltlich, ab den siebziger Jahren waren sie in einigen wenigen Staaten gegen Bezahlung eines Selbstkostenbeitrags zugänglich. Ab 1976 zum Beispiel konnten die Väter in Slowenien den Karenzurlaub zur Hälfte in Anspruch nehmen. Generell ist zu bemerken, dass die in den jeweiligen Verfassungen verankerte Gleichberechtigung auch vorsah, dass Frauen in traditionell männlichen Berufen Fuß fassen konnten. Das oft bemühte Bild der weiblichen Straßenbauarbeiterin blieb trotzdem die Ausnahme.
- Die Kinderbetreuung lag jedoch nach wie vor in den Händen der Frauen?
- Die Gesellschaft blieb traditionell, vielleicht auch konfessionell bedingt, patriarchalisch. Dieses Modell überlebte alle politischen Systeme – bis heute.
Die Kinderbetreuung war und blieb Frauensache. Den sogenannten Babuschkas, Großmüttern, kam dabei eine enorm wichtige Rolle zu, besonders im ländlichen Raum. Während die Mütter in die Stadt arbeiten gingen, vielleicht unter der Woche gar nicht anwesend waren, sorgten die Großmütter für die Erziehung der Kinder. Ein Modell, das sehr verbreitet war. Frauen berichteten, dass sie die Oma als Mutter und die leibliche Mutter als Freundin akzeptiert und angenommen hätten. Jene Männer, die in Slowenien in Karenz gingen, mussten sich den Spott, ein „Mehkuzec“ – das bedeutet etwa so viel wie ein „Softie“ – zu sein, gefallen lassen, aber immerhin zwei Prozent nahmen das Angebot dann doch wahr. 1990/91 sank die Zahl unter ein Prozent. In einem marktwirtschaftlich orientierten System fanden sich die meisten Männer trotz des lohnabhängigen Karenzgeldes als karenzierte Väter gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert.
- Und auf den Tribünen der kommunistischen Macht saßen letztlich keine Frauen. Die grauen Politkader waren doch allesamt Männer?
- Das kommunistische System war per se män­nerzentriert. Darauf verweist auch der männliche Personenkult. Ich nenne dabei nur Tito, Stalin oder Živkov. Die Frauen konnten eher auf lokaler Ebene Karriere machen. Es gab natürlich Herzeigefrauen wie Jovanka Broz Tito oder Quotenfrauen wie Ljudmila Živkova, die Ministerin für Kultur und Tochter von Todor Živkov, dem Ersten Staatssekretär des Zentralkomitees in Bulgarien. Diese Frauen verloren in ihren saturierten Aufgabenbereichen häufig den Blick für das Wesentliche, das heißt, dass sie ihre Positionen kaum für Frauenanliegen oder den Ausbau weiblicher Netzwerke nutzbar machten.
- Zu heute: In fast allen Transformationsstaaten lässt sich seit der Wende eher ein Zurückdrängen der Frauen aus der öffentlichen Sphäre beobachten. Frauen sind in Osteuropa in allen gewählten oder ernannten Körperschaften weit mehr unterrepräsentiert als in den übrigen EU-Mitgliedstaaten. Warum?
- Es hat nach der Wende tatsächlich in vielen osteuropäischen Ländern erst einmal einen Rückschlag in Frauenfragen und eine Hinwendung zu traditionellen Werten gegeben, was unter anderem auch in der neu entfachten Diskus­sion um den Schwangerschaftsabbruch zum Ausdruck kam. In Polen ist Abtreibung inzwischen wieder unter Strafe gestellt, auch in Slowenien wurde dieses scheinbar erledigte Thema kontrovers diskutiert, jedoch dann doch nicht wieder kriminalisiert.
Wenn in einem marktwirtschaftlich orientierten System aus Wettbewerbsgründen auf einmal viele Sozialleistungen wegfallen, auf die man sich im Sozialismus stützen konnte, dann vor allem auf Kosten der Frauen und der Alten, den sogenannten Modernisierungsverlierern. Das fängt bei Kürzung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten an, führt über die medizinische Versorgung bis hin zu niedrigen Pensionen und so fort. In Slowenien zum Beispiel hat man jedoch durch Gründung verschiedenster Vereinigungen für Frauenfragen inzwischen auf die rückläufige Entwicklung reagiert.
- Sie beschreiben in Ihrem Buch einen „Frauen-Exodus auf Zeit“ in Slowenien von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, der an die heutigen Pendlerinnen aus dem Osten erinnert, die im Westen als Altenpflegerinnen oder Putzfrauen arbeiten.
- Damals verließen jährlich bis zu 3.000 slowenische Küstenländerinnen unmittelbar nach der Geburt ihres Kindes von Triest aus per Schiff ihre Heimat in Richtung Kairo und Alexandria, um dort für die reiche Oberschicht als Ammen zu arbeiten. Nicht jede kam als Alexandrinerin in Frage. Man nahm am liebsten blonde, großbrüstige, blasse „Görzerinnen“. Vom Aussehen hing nämlich deren Verdienst ab. Die daheimgebliebenen Väter akzeptierten damals den Weggang ihrer Frauen, weil der Job gutes Geld brachte. Allerdings zogen diese Arbeitsverhältnisse schwere psychische und gesellschaftliche Probleme nach sich. Die „Dienstmädchenproblematik“ ist im 21. Jahrhundert wieder aktueller denn je. Ein Thema, mit dem man sich in Zukunft vermehrt beschäftigen werden muss.
- Wie sehen Ihre Wünsche für die Zukunft aus?
- Ich kann nicht in die Zukunft schauen, doch die niedrigen Geburtenraten sind in Ost- und Westeuropa nicht mehr wegzudiskutieren. Ich finde es nicht in Ordnung, dass sich Frauen permanent diesbezüglich erklären müssen. Wir werden uns vielmehr alle, Männer wie Frauen, fragen müssen, wie wir in Zukunft die Familie definieren, wie wir ein kinderfreundliches Umfeld schaffen, welche Arten von Partnerschaften wir zulassen und wie man Beruf und Familie vereinbaren kann. Wichtige Schritte dahin wären die Eliminierung der sichtbaren und unsichtbaren Benachteiligung von Frauen im Erwerbs- und Gesellschaftsleben, ein lohnabhängiges Kinderbetreuungsgeld, weil es die Vaterschaft auch sozioökonomisch attraktiver machen würde, sowie ein flächendeckendes Netz von Kinderbetreuungsstätten.
Marija Wakounig ist Universitätsprofessorin am Institut für Osteuropäische Geschichte in Wien und unter anderem Herausgeberin der Essaysammlung „Die gläserne Decke. Frauen in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa im 20. ­Jahrhundert“, Studien Verlag, Innsbruck–Wien–München–Bozen 2003.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,April 2007
Link: REPORT online -