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Kroatien: Tito und Milošević

Zur Befindlichkeit des Landes: Ein Gespräch mit Vedran Mimica

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Vedran Mimica:
- Sie sagen, dass mit dem Fall des Eisernen Vorhangs „Pandora’s box of political nightmare“ für Kroatien geöffnet wurde. Gleichzeitig hatte dort schon unter Tito eine wesentliche Entwicklung Richtung Unabhängigkeit ihren Anfang genommen. Wie ist die Situation momentan in Kroatien?
- In den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren unterschied sich Jugoslawien in vielen Aspekten von anderen osteuropäischen Ländern hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang. Vor allem, weil Tito nicht vergleichbar mit anderen politischen Repräsentanten jener Zeit, wie Breschnew, Ceauşescu oder Honecker, war. Diese Politiker waren vollends vom sowjetischen Block dominiert – Tito bekanntlich nicht. Doch die Verhinderung einer Demokratisierung in der Ökonomie kostete ihn die politische Legalisierung in Europa und leitete die Entwicklungen dieses Landes, den Zustand, in dem es sich heute befindet, erst ein. Gleichzeitig war Jugoslawien in seiner Rolle als Pufferzone zwischen Ost und West ökonomisch höchst erfolgreich. Was Tito als eine Art politisches Genie, das er sicher war, auch für sich so definierte und ausspielte.
- Was bedeutete die integrative und doch internationale Politik Titos für die kulturelle Szene von Ex-Jugoslawien?
- Für die kulturelle Szene in Jugoslawien war der Zusammenbruch des Landes fatal. Man darf nicht vergessen, dass unter Tito künstlerische Freiheit möglich war. Eine Avantgarde – wie unter Stalin – „entstand“ nicht, sie war immer präsent. Während in Ostdeutschland oder der Sowjetunion der Stalin-Realismus als wichtigste Bewegung galt, hielt Joseph Beuys in Belgrad einen Workshop ab. Das zeigt den großen Unterschied.
- Waren die kulturellen Unterschiede und Identitäten damals gar nicht so wichtig, zum Beispiel zwischen Slowenien und Kroatien?
- Unterschiede gab es natürlich immer. Jugoslawien war nie ein homogenes Gebilde. Slowenien und den Kosovo kann man auch nicht miteinander vergleichen. Unterschiedliche Geschichte, Sprache, Ökonomie und Kultur waren in Jugoslawien immer miteinander verbunden. Ich vergleiche Ex-Jugoslawien gerne mit der heutigen EU. Die Unterschiede zwischen Portugal und Irland etwa könnten nicht größer sein. Das heißt nicht, dass das schlecht wäre. Schon Titos Idee war, dass besser entwickelte Nationen den weniger entwickelten helfen und beide voneinander profitieren sollen. Das ist heute exakt das „Argument“ der EU. Der große Unterschied liegt im Erfolg, den die EU hat, und dem Misserfolg, den Jugoslawien hatte.
- Wurden die verschiedenen Nationalitäten denn früher hinsichtlich ihrer eigenen Identitäten unterstützt?
- Nein, diese Identitäten wurden unterdrückt. Nicht völlig, aber teilweise.
- Wird die Tito-Ära in Kroatien heute ignoriert oder idealisiert?
Idealisiert?
- In Kroatien weniger. Es ist eher so, dass meine kroatischen Freunde fast alle Nationalisten sind. Offensichtlich existiert in diesem Land eine historisch begründete Tragödie, die hauptsächlich während des Zweiten Weltkrieges entstanden ist und die Kroaten in faschistische Nationalisten und föderalistische Kommunisten gespalten hat. Ich persönlich bin stolz, dass mein Vater ein „Titoist“ war. Aber andere sind es, weil ihre Väter kroatische Nationalisten waren. Diese ideologische Trennung ist nach wie vor präsent. Es ist zwar nicht so, dass wir Kroaten behaupten würden, dass der Zweite Weltkrieg noch nicht beendet wäre, aber in den öffentlichen Debatten ist das Thema weiterhin vorhanden.
- Beinhaltet dieser Nationalismus eine Vision?
- Ich würde sagen: Nein. Was passierte, ist – seltsam oder nicht – dass in der sozialpolitischen Landschaft während der neunziger Jahre, als der Krieg noch sehr präsent war, eine Art strukturalistischer Diskurs einsetzte. Die kroatischen Intellektuellen gaben sich links, jedoch links im Sinne der Frankfurter Schule oder Sartres. Diese Intellektuellen und ihre Ideen hatten sich nirgends durchgesetzt, sondern vielmehr eine seltsame nationalistisch-romantische Vision eines neuen Staates gefördert. Zu diesem Thema hat sich auch Boris Groys geäußert. Sinngemäß: Wenn man seine Geschichte einfach auslöscht, im Fall von Kroatien seine sozialistische und kommunistische, dann handle man wie ein Stalinist. Denn die Stalinisten negierten die russische Avantgarde, um zu einem neuen, reinen Ausgangspunkt zurückzukehren. Und das ist genau das, was die Intellektuellen zu Beginn der neunziger Jahre in Kroatien begünstigten: eine totale Auslöschung der modernen Tradition und die Rückkehr zu einer Romantik des 19. Jahrhunderts. Aber wenn man Kroatien als Teil von Europa definieren will, darf man dieser neuen Gemeinschaft nicht so entgegentreten, sondern vielmehr multikulturell, dynamisch und modern.
- Sie bezeichnen Milošević als das große Drama für Jugoslawien und Kroatien. Inwiefern?
- Er war einer jener, die den Zusammenbruch Jugoslawiens und dessen Verschwinden initiierten. Seine Politik war eine der Zerstörung. Slavoj Žižek würde argumentieren: Schauen Sie, es ist nicht das Balkan-Chaos, sondern vielmehr ein Chaos der westlichen Mächte, das Figuren wie Milošević hervorbringt. Sie haben ihn nicht etwa unterstützt, sondern gar erst geschaffen. Westeuropa war lange Zeit uneinig über die Bewältigung der Krise und die Frage der Zukunft Jugoslawiens. Als man dann im Jahr 2000 reagierte, war es offensichtlich längst zu spät. Die Zersplitterung steuerte in Slowenien, Kroatien und Bosnien bereits auf ihren Endpunkt zu. Die Intervention im Kosovo brachte sie dann sozusagen zum Abschluss. In diesem Sinne wurde Milošević „vom Westen geschaffen“.
- Wie mächtig sind heute noch die Institutionen des einstigen Apparats?
- Einflussreiche Ministerien, Universitäten, wissenschaftliche und kulturelle Institutionen gibt es in Kroatien im Moment nicht. Ich behaupte aber, manche von ihnen gebärden sich teilweise „sozialistischer“ als zuvor. Wenn dahin gehend nicht bald etwas passiert, wird es sehr schwer, irgendeine neue Entwicklung in Gang zu setzen. Das ist in allen Ländern so, nicht nur in Kroatien, sondern auch in Tschechien, Polen oder Ungarn.
- Gilt das auch für die Museen?
- Auch für sie. Parallel dazu kann man ein fantastisches Engagement der „NGO’s in culture and architecture“ beobachten. Diese initiieren gerade eine interessante „alternative Szene“. Dennoch: Alternativ, wie sie viele nennen, ist sie meines Erachtens nicht. Diese unglaublich aktive kulturelle Produktion ist eher als urban zu bezeichnen – und multidisziplinär. Das soll heißen, sie wird von allen möglichen Seiten unterstützt.
- Arbeiten diese freien Vereine auch mit staatlichen Institutionen oder mit Stadtregierungen, etwa der von Zagreb, zusammen?
- Wird da untereinander kommuniziert?
Natürlich, man kann nicht alles schlecht reden. Es gibt immer jemanden in den Ministerien, der diese freien Gruppen unterstützt, und eigentlich wird das von der EU auch erwartet. Aber manchmal gestaltet sich die Kommunikation schwer, weil ihnen das Wissen fehlt, etwa in Fragen des Städtebaus oder bezüglich strategischen Planens.
- Erfahren diese freien Gruppen momentan mehr Unterstützung als die eher trägen offiziellen Institutionen, regional wie international?
- Diese aktiven NGO’s repräsentieren ohne Zweifel alles, was gerade in Kroatien interessant ist. Aber ich denke, dass das nicht genug sein kann. Diese Gruppen werden nie die nötigen Aktivitäten einer Regierung ersetzen können, schon gar nicht innerhalb der EU. Gerade unterliegen sie aber dem Glauben, das tun zu können. Doch ich denke, dass diese jungen Leute letztendlich zu clever sind, um wie Don Quijote und Sancho Pansa zu agieren. Kroatien muss sich in dieser Beziehung verändern. Seine Institutionen müssen reformiert werden, sonst ist es besser, sie zu schließen, als so weiterzumachen wie im Moment.
- Welche Rolle spielt die Privatisierung?
- Die Transformation von einem System in das andere, bei der Demokratie und der freie Markt über alle osteuropäischen Länder verbreitet werden, geht sicher ein wenig zu schnell und zu unkontrolliert vonstatten. Aber niemand kam und kommt mit einer besseren Lösung. Žižek wollte zwar über einen „dritten Weg“ nachdenken, eine Mitte zwischen Kommunismus und spätem Kapitalismus finden, aber es gab niemanden, der in der Lage war, das so umzusetzen.
- Welches Konzept hat Kroatien?
- Im Moment stellt sich die Frage, ob es wirklich gut ist, einfach alle Aspekte europäischer Integration in der Politik zu übernehmen, oder ob es für uns möglich ist, ein Konzept zu finden, dass Kroatien mehr entspricht – doch das wäre wohl wie ein Wunder. Das sehe ich nicht.
- Was fehlt am meisten?
- Es gibt keine kritische Masse in Kroatien, die sich mit der Entwicklung des Landes ernsthaft beschäftigt. Es existiert keine Möglichkeit, aus diesem System, wie es jetzt ist, auszubrechen. In diesem Sinn unterstütze ich diese freien „alternativen” Vereine. Ihre Aktivitäten sind ausgesprochen gut für dieses Land. Das hat auch Auswirkungen auf Mazedonien, Serbien oder Albanien. Sie brachten zumindest einen internationalen Diskurs ins Land. Das brauchen wir zum jetzigen Zeitpunkt.
Artikel erschienen in: REPORT.Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa, Juni 2004

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