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Wie viel in einem Land gebaut wird, ist meist der Gradmesser einer ökonomisch erfolgreichen Kultur. Dass dabei immer wieder einige repräsentative Bauten an der Oberfläche auftauchen und Stars oder Sternchen der Architekturszene mit Prestigeprojekten gefüttert werden, scheint fast logische Folge zu sein. Mit einer kulturpolitischen Verantwortung hat das allerdings noch wenig zu tun, denn diese ist seit einigen Jahren in Österreich verschwunden, und ohne Repräsentanten wird der Diskurs auf einzelne Bauevents beschränkt.

Frühlingsknospen aus europäischer Zucht

BLICKE ÜBER DEN POSTMODERNEN TELLERRAND

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Bart Lootsma:
- Beginnen wir mit einem kurzen Rückblick. Was ist aus Holland, dem Märchenland der Architektur, geworden?
- Die Niederlande werden immer mehr ein Land wie alle anderen Länder auch. Die Produktion unterscheidet sich nicht mehr wesentlich von dem, was ich gerade in der Umgebung von Berlin und Potsdam gesehen habe, oder was man in der Umgebung von Graz und Linz baut. Natürlich gibt es in den Niederlanden noch ein paar Highlights, das gute Mittemaß ist jedoch völlig verschwunden. Und, obwohl die Qualität des Städtebaus noch immer besser ist, wurde, wie in Deutschland, Rob Krier einer der meist favorisierten Städtebauer. Die Entwicklung geht europaweit in Richtung privatfinanzierter Einfamilienhäuser, wobei die meisten davon ohne Architekten realisiert werden.
- Man hat die Niederlande vor allem wegen der öffentlichen Diskussion über Architektur oder besser deren Stellenwert
in der Öffentlichkeit beneidet. Das betrifft Publikationen, Vermittlungsarbeit etc. Ist davon nichts übriggeblieben? Gibt es keinen Anspruch ohne politischen Druck?
- Der Effekt dieser Architekturpolitik ist schwer zu messen. Selbstverständlich gibt es Developer oder Wohnbaugenossenschaften, die interessante Architektur realisieren, aber das ist kaum strukturell. Sie tun mal dies und mal das. Architektur wird sehr strategisch eingesetzt. Einmal wird investiert, um den Politikern zu behagen, dann wieder wird einfach Geld verdient. Das ist längst keine ideologische oder kulturelle Frage. Die niederländische Architekturpolitik hat funktioniert, solange es noch deutliche Ansprechpartner gab, die eine öffentliche Verantwortung hatten, wie etwa Politiker oder Wohnbaugenossenschaften.
- Eine Entwicklung ohne Vorzeichen?
- Ende der achtziger Jahre hat sich abgezeichnet, dass die Bauproduktion immer mehr marktabhängig und die Politik die direkte Kontrolle verlieren würde. Es waren vor allem sozialdemokratische Stadträte, die das Problem voraussahen und in eine Strategie von Verführung, Bildung und öffentlicher Debatte investierten, um die Qualität aufrecht zu halten. Architektur ist nichts Autonomes, obwohl manche, die in der Architektur tätig sind, von ihrer Perspektive aus dazu neigen, das so zu sehen. Architektur vermittelt zwischen privaten und öffentlichen Interessen, agiert und entsteht in einem komplizierten Kraftfeld. Wenn die Öffentlichkeit aber kein Gegenüber hat, wird es für den Architekten und die Architektur schwer. Abgesehen davon, hat politische Macht auch eine starke ökonomische Komponente, die man nie vernachlässigen sollte. Sonst wird sie unglaubwürdig und zahnlos.
- Was ist aus den aufgebauten Stars der holländischen Szene geworden? Öffentlich und individuell wird doch noch aus der Geschichte geschöpft?
- Die öffentliche Diskussion in den Niederlanden dreht sich vor allem um Städtebau, Raumplanung und Landschaft – was ich übrigens auch befürworte. Gerade auf dieser Ebene spielt die Politik noch eine gewisse Rolle. Und man sollte nicht vergessen, dass Architekten selbst auch immer mehr als Unternehmer betrachtet werden, obwohl sie das selbst nicht gerne so sehen. Tatsächlich war es ein wichtiger Aspekt der niederländischen Architekturpolitik, individuelle Architekten im Markt zu fördern – mittels Arbeitsstipendien, Studienreisen, Publikationen und Ausstellungen. Auch gibt es gelegentlich finanzielle Unterstützung bei Teilnahme an wichtigen internationalen Wettbewerben. Bis weit in die neunziger Jahre hat das viele Städte beeinflusst, die für bestimmte Projekte sogenannte „Architektenlisten“ hatten. Um auf eine solche Liste zu kommen, haben z. B. Veröffentlichungen geholfen. Im Rahmen der EU-Gesetzgebung ist das nicht mehr erlaubt, weil es die freie Konkurrenz zwischen Architekten beeinflussen würde.
- Der Bekanntheitsgrad hatte also schon noch Auswirkungen?
- Selbstverständlich haben Veröffentlichungen immer noch einen Effekt, aber immer mehr im Sinne von Branding, von individuellen Positionen in einer bestimmten Marktnische. Innerhalb der Niederlande – und inzwischen sogar außerhalb – können zu viele Veröffentlichungen und zuviel Branding aber auch gegen ein Büro wirken: Weil Auftraggeber nicht immer „mehr von demselben“ wollen.
- Die Überlegungen, die du beschreibst, sind auf allen Ebenen sehr strategisch – aber konkret: Wie hat das politische Netzwerk begonnen, sich zu organisieren, und wie ist aus einer relativ kleinen Bewegung ein politisches Instrument geworden?
- Die Architekturpolitik hat sich in den achtziger Jahren aus einer Kritik der postmodernen Architektur entwickelt. Man meinte, Architektur würde zu wenig als Kultur betrachtet und es gäbe zu wenig Interesse an der Geschichte der Stadt. Die Rotterdamer Kunst Stiftung organisierte ab 1980 eine Serie von Manifesten – „Architecture International Rotterdam“. Im Zuge dessen wurden international bekannte Architekten eingeladen, sich mit einem Stadtteil auseinanderzusetzen. Die Resultate dieser unverbindlichen Ideenwettbewerbe hatten tatsächlich Einfluss auf die spätere Planung bzw. die Auftragserteilung. So sieht man immer noch den Einfluss von Aldo Rossis Wettbewerbsprojekt auf die Kop van Zuid, das Hafengebiet in Rotterdam. Anfangs war die Architekturpolitik eine Initiative des Kultur- und Planungsministeriums, wobei diese Strategie zunehmend landesweit verallgemeinert wurde. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Ministerien dazu, weil man erkannte, dass, wenn man z. B. von der kulturellen Komponente der Landschaft spricht, die Landwirtschaft nicht außer Acht bleiben konnte. Einerseits war das natürlich gut, da sich mehr Ministerien für die kulturelle Qualität der gebauten Umgebung einsetzten, andererseits wurde die Idee einer kulturellen Qualität immer mehr verschwommen.
- War Architekturpolitik nur noch ein „Fake“, der dazu benutzt wurde, die Interessen der Regierung durchzusetzen?
- Die Architekturpolitik wurde immer mehr zum Instrument der Regierung, um bestimmte Veränderungen in der Planungskultur zu etablieren. So wurde, was anfangs eine Kritik war, im Laufe der Zeit immer mehr zu einer Art Propagandamaschine der Regierung. Kritik wurde dabei immer mehr ausgeschaltet, da die finanziellen Mittel an bestimmte Programme gebunden waren. Architektonische Qualität wurde sogar fast suspekt, weil es als etwas Elitäres gesehen wurde und es doch eher darum ging, dass alle Schichten und Gruppierungen in der Bevölkerung das Recht haben sollten, selbst zu entscheiden. Die Architektur sollte sich von einer Angebots- zu einer Nachfrageökonomie wandeln, wobei Frage und Antwort aber schon von der Regierung selbst vorformuliert wurden. Viele Projekte von Architekturzentren und Architekten versuchen, sich mit Ironie daraus zu retten, so dass es einerseits lustig und lebendig erscheint, aber doch noch kritisch ist. Langsam werden diese Projekte aber peinlich oberflächlich.
- Bezogen auf Österreich: Wie kann man in einem Land, dass grundsätzlich das Potenzial – also eine große Menge an guten
Architekten – hätte, politische Strategien entwickeln?
- Zuerst sollte Österreich die Folgen und vor allem auch die Nebenfolgen der Privatisierungen und Deregulierungen in anderen Länder genau analysieren. Für Österreich ist es noch nicht zu spät. Die Politik müsste angesichts der unübersichtlichen Vielfalt an individuellen Initiativen aktiv werden und die Kontrolle und Regie behalten. Und sie sollte regelmäßig gegenüber der Öffentlichkeit begründen, die Wichtigkeit und Relevanz ihrer Entscheidungen transparent machen. Für die kulturellen Institutionen – Architekturzentren, aber auch Kritiker, Verlage und Zeitschriften – ist es von Bedeutung, ihre Autonomie zu behalten, damit sie kreativ und kritisch bleiben können und nicht reine Instrumente der Politik werden. Ich würde die Lösung eher im Aufbau von Netzwerken und im internationalen Austausch suchen als in dominanten Organisationen. Genauso wie in Amsterdam und Rotterdam am Anfang der achtziger Jahre, sollte man zuerst eine Analyse der Stärken und Schwächen der österreichischen Architektur im internationalen Vergleich machen, wobei ich Städtebau und Landschaftsarchitektur mit einbeziehen würde.
- Du hast gesagt, dass Architekturpolitik oft mit Architektenpolitik verwechselt wird. Ganz sinnlos ist eine individuelle Förderung aber nicht. In welchem Maße hätte sie zu erfolgen?
- Ich glaube, dass es gut wäre, wenn ein Teil der Architekturpolitik österreichischen Architekten, Kritikern und Theoretikern mehr Möglichkeiten geben würde, sich mit einer gewissen Methode, Theorie oder Herangehensweise auseinanderzusetzen und zu präsentieren. Österreich hat eine Menge guter und sogar ausgezeichneter Architekten und Bauten. Es fällt mir aber auf, dass die Art und Weise, wie mit Architektur umgegangen wird, sehr produktorientiert und fragmentarisch ist. Das macht es für österreichische Architekten schwierig, sich international zu profilieren. Eine Architekturpolitik ist zwar nicht dasselbe wie eine Architektenpolitik, aber da gibt es ein Potenzial, das viel zu wenig ausgenützt wird. Die österreichischen Architekten sollten etwas unternehmerischer denken. Städtebau, Regionalplanung, Landschaftsarchitektur, das Programmatische, Strategische und Prozessmäßige sind Schwächen von Österreich. Bestimmt hat das auch mit der österreichischen Planungskultur zu tun, die sich sehr lange mit einem langsamen Wachstum oder sogar Schrumpfen. auseinandersetzen musste.
erschienen in Architektur&Bauforum,07/Apr.03