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Den Osten verstehen

redaktionsbüro: Kathrin Lauer
Matthias Echterhagen:
- Was ist „n-ost“?
- Ein internationales Netzwerk, das in mehr als 20 Länder reicht. 250 Journalisten und Medienschaffende gehören ihm an. Unser Ziel ist eine umfassende und sorgfältige Berichterstattung aus Ost-, Mittelost- und Südosteuropa, aber auch die Stärkung der Medienfreiheit.

- Wie gelingt Ihnen das?
- Zum einen berichten wir täglich aus den Ländern des östlichen Europas, zum anderen organisieren wir internationale Medienprojekte, Fortbildungen und Workshops.
Die Redakteure im Berliner „n-ost“-Büro sind mit den Kollegen eines eigens aufgebauten Korrespondentennetzes verdrahtet. Diese liefern täglich Hintergrund und Analysen von den Schauplätzen im östlichen Europa, und zwar auch und gerade aus abgelegenen Regionen. Die Beiträge werden im „n-ost“-Büro besprochen, redigiert und über einen Verteiler an Printmedien, Abonnenten und Verlage geschickt. Zeitungsredaktionen entscheiden dann darüber, ob ein „n-ost“-Artikel gedruckt wird. Ansonsten ist der Artikeldienst abonnierbar und ein Service, der von Experten und Osteuropa-Interessierten gleichermaßen genutzt wird – von all jenen, die sich journalistisch erstklassig informieren wollen. Unser Ansatz dabei ist: nicht die schon bekannten Bilder und Klischees bedienen, sondern die „Geschichte hinter der Geschichte“ zeigen: Fortschritte, Veränderungen, Porträts. „n-ost“ bietet außerdem einen Radiodienst an, mit dem Hörfunkanstalten beliefert werden.
- Aus Osteuropa hört man vorwiegend Geschichten über Korruption und die angebliche Rückständigkeit. Ist diese Region besser als ihr Ruf?
- Es ist nicht eine Frage von besser oder schlechter. Auch das „immer nur“ würde ich nicht unterschreiben, denn es gibt viele journalistische Arbeiten, die mit Osteuropa in Zusammenhang stehende Fragen hintergründig beleuchten. Meist wird aber nur in Form von Nachrichten aus den Hauptstädten berichtet, und unterm Strich betrachtet fällt die deutschsprachige Berichterstattung im Hinblick auf das, was wir verallgemeinernd „Osteuropa“ nennen, tatsächlich eher negativ aus. Zwischen Ost und West gibt es noch immer einen Vorhang, ein fortwährendes Missverstehen, auch unter Journalisten. „n-ost“ übernimmt hier eine wichtige Vermittlerfunktion – durch seine Projekte, aber auch durch sein Korrespondentennetz, das aus Journalisten sowohl aus Ost- als auch aus Westeuropa besteht, die vor Ort sind und die Länder und Regionen wirklich kennen.
- Was kommt in der Osteuropa-Berichterstattung zu kurz?
- Nicht selten die Hintergründe. Uns geht es darum zu erklären, wie es zu bestimmten Ereignissen kommt. Welche verfehlte Wirtschaftspolitik steckte beispielsweise hinter den Protesten und Straßenschlachten in Budapest im Jahr 2006? Zur Veranschaulichung bietet „n-ost“ auch Artikelserien an. Zum Beispiel die von Renovabis (ein Verein der römisch-katholischen Kirche in Deutschland zur Stärkung von Kirchen und Gesellschaften in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, Anm. d. Red.) geförderte Reportage-Reihe „Arm. Alt. Allein?“. Zu diesem Jahresthema von Renovabis haben „n-ost“-Korrespondenten Reportagen verfasst. Und dabei ein einfühlsames Bild geschaffen von schwierigen Lebenslagen, von Menschen, die nicht viel haben, aber kämpfen, ohne dabei in Sozialromantik abzugleiten. Ob es nun eine ehemalige Opernsängerin aus Sofia in Bulgarien ist oder ein pensionierter Gletscherforscher aus Almaty in Kasachstan – solche Serien vermitteln einen Blick über den Tellerrand und transportieren etwas von den Lebenswirklichkeiten Osteuropas.

- Welcher Art sind Ihre internationalen Medienprojekte?
- Oft sprechen Journalisten aus dem Westen über Osteuropa in vorgefertigten Kategorien und Mustern. Auch deswegen veranstaltet das Netzwerk jährlich eine internationale „n-ost“-Medienkonferenz. Kollegen, die in ganz verschiedenen Journalismuskulturen ihr Handwerk lernen oder gelernt haben, sitzen dort an einem Tisch. Das Angebot der „n-ost“-Medienkonferenz reicht von Podiumsdiskussionen über Fortbildungen und Workshops bis hin zu Rechercheexkursionen. Journalistische Standards werden besprochen und Beiträge für Medien verfasst. Dieses Jahr findet die Konferenz in Bukarest (1. bis 5. Oktober 2008, siehe Observer) statt. Darüber hinaus gehören ein Reportagepreis, Recherchestipendien, Artikel- und Reportageserien sowie Recherchereisen in das Projektprogramm von „n-ost“.

- Seit Mai 2008 produziert „n-ost“ außerdem das Online-Angebot von euro|topics?
- Ja, das umfasst eine tägliche Presseschau und ein wöchentliches Magazin. Für die Presseschau sichten Korrespondentinnen und Korrespondenten in allen EU-Staaten und der Schweiz jeden Morgen die wichtigsten Online- und Printmedien. Sie werten dabei die Ressorts Politik, Medien, Gesellschaft, Kultur und Zeitgeschichte aus. Der Schwerpunkt liegt auf Meinungsbeiträgen. Wir freuen uns sehr, dass wir dieses Projekt im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung produzieren und weiterentwickeln können. Denn die Zielsetzung von euro|topics ist uns sehr wichtig: Debatten abzubilden und dabei einen multiperspektivischen Blick zu schaffen, der über die gewohnte nationale Perspektive hinausgeht. Vielleicht ist das Ziel einer europäischen Öffentlichkeit noch in weiter Ferne. Aber euro|topics arbeitet daran mit, dass wir uns ihr beständig nähern.

- Das klingt nach viel Arbeitsaufwand. Wie finanziert sich „n-ost“? Wie hoch ist Ihr Budget?
- „n-ost“ ist ein Verein und ein Non-Profit-Unternehmen, das seit seiner Gründung 2002 – damals noch aufgestellt als reines Korrespondentennetz – stetig gewachsen ist. Dies hat die Robert-Bosch-Stiftung ermöglicht, die das Projekt seit dem Sommer 2004 institutionell gefördert hat. Diese Förderung läuft nun in diesem Sommer aus. „n-ost“ arbeitet inzwischen mit vielen Partnern und Stiftungen zusammen und hat sich verschiedene Finanzierungsperspektiven erarbeitet. Wichtige Einnahmen werden unter anderem aus Dienstleistungen, Projekten und Kooperationen generiert.
- Wie sind Sie persönlich eigentlich auf diesen Themenbereich gekommen?
- Wenn ich es herunterbreche, würde ich sagen: durch ein vitales Interesse an anderen Kulturen, an Übergangsregionen und fremden Sprachen. Berufliche Aufenthalte in Russland und ein Jahr in Kasachstan als leitender Redakteur einer deutschen Zeitung in Almaty bildeten sicher die Grundlage für meine jetzige Tätigkeit bei „n-ost“.
- Kasachstan? Klingt exotisch.
- Kasachstan war sehr lehrreich. Es war spannend zu sehen, wie dieses wohl einflussreichste Land Zentralasiens sich selbst mit einer eigenen Geschichte ausstattet, mit politischer Symbolik arbeitet und wie es dadurch immer selbstbewusster wird. Ich bin schon seit drei Jahren nicht mehr dort gewesen. Das ist ein halbes Jahrhundert westeuropäischer Zeitrechnung, gemessen an dem, wie rasant sich Kasachstan entwickelt.
- Warum sollte der Westen für Osteuropa mehr Verständnis aufbringen? Aus Mitgefühl? Aus eigenem Interesse?
- Mitgefühl bringt nicht weiter. Dies würde ja nur wieder die alte Position des Bessergestellten und Besserwissenden reflektieren. Diese Position stimmt schon seit Jahren nicht mehr. Sie hat wohl nie gestimmt. Der Westen kann genauso von Osteuropa lernen wie Osteuropa vom Westen.

Das Interview führte Kathrin Lauer. Sie berichtet als freie Journalistin für deutsche Medien aus Rumänien und Ungarn.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,September 2008
Report online - n-ost - N-OST MEDIA CONFERENCE -