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Während ich die letzten Jahre der Erziehung meiner Tochter widmete, zog Dietmar Steiner das Architekturzentrum (AzW), sein ideelles Kind, zu einer großen Institution heran. Gemeinsamkeiten sind durchaus vorhanden, und im Herbst bekommen alle, deren Geburtsjahr mit dem des AzW zusammenfällt, die Möglichkeit, am Wettbewerb "Häuser der Zukunft" mitzumachen. Marketing für eine neue Architektengeneration oder Kundenbindung? Dietmar Steiner, in seiner Vaterrolle unverändert motiviert, streitbar und endlich im (fast) fertigen Hof der Architektur des Museumsquartiers verankert, denkt noch lange nicht an die Freigabe zur Adoption. Nach zehn Jahren lassen nicht nur Kinder das Volksschulalter hinter sich, auch das AZW geht seiner Reifeprüfung entgegen. Ein Anlass für FORUM innezuhalten und Dietmar Steiner nach seinen Plänen für die nächsten zehn Jahre und seine Position als Seiltänzer zwischen Museumsdirektoren, Politikern, Architekten und Kritikern zu befragen.

Zehn Jahre Architekturzentrum Wien

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Dietmar Steiner:
- Um Dietmar Steiner gab es nie Rücktrittsgerüchte? Warum?
- Dafür gibt es einen simplen Grund. Ich habe keinen Zeitvertrag, sondern ich bin Angestellter des Vereins. Es besteht also nicht so wie bei der Diagonale ein politisches Durchgriffsrecht – weder Bund noch Stadt können über meine Funktion bestimmen. Nur der Vorstand könnte mich kündigen.
- Und Sie selbst haben nie daran gedacht aufzuhören?
- Ich habe noch nie eine Stellung oder Position angestrebt. Aber natürlich kann man sich die Frage stellen, nach zehn Jahren, ob man einmal etwas anderes machen sollte. Zwischendurch kamen einige spektakuläre Angebote, aber zum falschen Zeitpunkt.

- Sie haben bei Ihrer Rede zur Zehnjahresfeier ein Zitat vorgelesen – sinngemäß –, dass „trotz egomanischer Führung, das AzW so aufgebaut wurde, dass es auch ohne Sie weitergehen könnte“. Wie sehr sind sie selbst mit AzW verbunden?
- Bis jetzt habe ich jedes Angebot ausgeschlagen, weil der Aufbau der Institution natürlich ganz stark an meine Person gebunden war. Ich hatte das Glück von der Politik gehört zu werden und das zu bekommen was wir jetzt haben. Jetzt wo der Laden läuft, das Budget gesichert ist, könnte man sich etwas anderes überlegen. Aber ich hänge schon sehr daran und kann mir kaum eine bessere Situation vorstellen um mit diesem phantastischen Team weitere Ideen zu entwickeln und umzusetzen.
- Und wo will Dietmar Steiner mit dem Architekturzentrum hin?
- Na, ja. Die Frage stelle ich mir auch laufend? Eigentlich sind wir jetzt fertig ?
Aber, nein. Unsere Entwicklung folgt immer noch den ersten vier Grundsätzen: präsentieren, diskutieren, publizieren, archivieren – wir wollten nie ein reines Ausstellungszentrum sein. Und fast alle neuen Ideen und „Produkte“ wurden im Team entwickelt, gegen das Kinderprogramm habe ich mich ziemlich lange gewehrt weil es ja das Zoom gibt, die Sonntagsarchitektur wurde persönlich von unserer Mitarbeiterin Brigitte Redl vorangetrieben, die Homepage und Datenbank von Kurt Zweifel – und alle sind zu einer Erfolgsgeschichte geworden. Es ging einfach um die Diversifikation des Angebots für verschiedene Zielgruppen und darauf bin ich sehr stolz– schließlich macht uns das schon einmalig und diese Breite des Programms gibt es sonst nirgendwo.

- Geht dann nicht auch manchmal etwas verloren – in einem großen Spektrum. Was tut das Architekturzentrum Wien, nach „emerging“, für den Nachwuchs?
- Wir denken natürlich darüber nach, was wir jetzt in Nachfolge von „emerging“ machen. Wir haben derzeit nur eine andere Priorität. Ab nächstem Jahr haben wir in der neuen Halle die Schausammlung.
- Was heißt Schausammlung?
- Ein semipermanenter Überblick über österreichische Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts. Wir arbeiten gerade am Konzept, und sie wird sich das ganze Jahr 2004 hindurch verwirklich.
- Kommt das Material dazu aus einem Archiv?
- Aus unserer Sammlung. Wir haben in den letzten Jahren intensiv am Ausbau der wissenschaftlichen Arbeit und Kompetenz gearbeitet. Im Raumprogramm des Az W war immer die Dauerausstellung vorgesehen. Bisher waren wir aber nicht dazu in der Lage, sie vorzubereiten. Diese Ausstellung eröffnet uns wieder neue Zugänge und Möglichkeiten, Architektur zu vermitteln. Zum Beispiel können wir dort verstärkt für Jugendliche und Schüler Programme anbieten.

- Das geht dann ins Kunsthistorische?
- Überhaupt nicht. Wir haben uns von Anfang an als Museum neuen Typs verstanden. Das heißt: Wir sind viel mehr dienstleistungs- und wissensorientiert als heutige Museen. Wir sind nicht nur ein Ausstellungs-, sondern auch ein Wissenszentrum, was die Bibliothek oder die Datenbank auch vermitteln.
- Sind die Ausstellungen im Museum Angewandter Kunst oder jetzt auch im Kunsthistorischen Museum dann Konkurrenzausstellungen?
- Nein, das ist eine wichtige Ergänzung. Nur die Eventspirale der Museen halte ich kulturpolitisch für wirklich verhängnisvoll. Aber ich begrüße, dass insgesamt viel mehr zur Architektur stattfindet. Denn wer dann mehr über Architektur wissen will, landet ohnehin bei uns.
- Also doch Richtung Architekturvermittlung. Inwieweit hat sich da die Situation geändert?
- Drastisch. Das Selbstverständnis der Architekten hat sich dramatisch verändert. 1993 haben wir mit der Idee der Architektenmonographien begonnen, in deutsch und englisch, um Architekten vor allem im internationalen Rahmen zu fördern. In der Zwischenzeit macht jeder seine Monografie selbst. Wir haben uns zurückgezogen und es über „emerging“ versucht. Aber wenn ich mir die Szene heute anschaue, sieht es so aus, als ob die schon genügend Selbstvermarktung betreiben.
- Das glaube ich eben nicht. Es scheint, dass die Probleme des Alltags überhand nehmen und ein Verständnis für Öffentlichkeit fehlt – Sie sind doch auch Architekturkritiker. Sehen Sie überhaupt keine Möglichkeiten mehr?
- Für mich ist die junge Architekturszene in Österreich irgendwie unüberblickbar geworden.

- Für andere, wie jemanden aus Berlin, muss das dann noch schwieriger sein.
- Ja klar, aber die Frage ist: Für wen präsentieren wir was und wie? Wir haben die „frischen Fische“ aus Graz gezeigt. Das war eine provokante und erfolgreiche Präsentation.
- Ja, aber es fehlt eindeutig ein Kurator. Eigeninitiative gibt es im Moment genug.
- Also ich kann im Gegensatz zu früher bei jungen Architekten nicht mehr beurteilen, ob einer gut oder schlecht ist.
- Woran liegt das?
- Daran, dass sie alle gut sind?
- Dann könnten sie genauso gut alle schlecht sein.
- Sagen wir, es ist heute sehr schwer zu handhaben. Aber wir bleiben dran und haben auch schon neue Ideen – gerade in der Vermittlung, das Verständnis und das Anliegen von Architekten auch der Öffentlichkeit näher zu bringen. Das ist schließlich unsere Aufgabe. Wichtig wäre, die österreichische Objektorientiertheit in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
- Aber wie? Wenn das Spektrum so groß ist: Den 30 „emerging“-Architekten können leicht noch einmal so viele folgen. Findet man keine Position mehr darin?
- Ich habe einige Generationen von Architekten mitgemacht, und jede ist immer mit einer bestimmten Position aufgestanden. Jetzt ist es ein diversifiziertes Feld von Individualpositionen, die für mich in vielen Fällen nicht wirklich klar und nachvollziehbar sind. Aber ich glaube, wenn man das Gesamtprogramm eines Jahres anschaut, dass es genug Möglichkeiten gibt, für sich selbst eine innerarchitektonische Position zu finden.

- Aber sich auch einzubringen?
- Sicher, da gibt es bei uns viele Möglichkeiten. Aber das AzW kann nicht alles tun, es gibt ja auch noch die ÖGFA, die ZV usw., deren Aufgaben wir weder inhalieren noch ersetzen wollen. Ich stelle keinen Omnipotenzanspruch.
- Dennoch präsentieren Sie einerseits das größtmögliche Spektrum und sprechen immer wieder vom Fokus. Was passiert jenseits der Öffentlichkeit im Hintergrund?
- Unsere Aktivitäten muss man grundsätzlich viel globaler sehen. Das Service geht natürlich im Hintergrund weiter – wir haben internationale Kontakte und empfehlen immer wieder Leute weiter, sind Anlaufstelle für viele internationale Journalisten. Wenn in der New York Times ein großer Artikel über junge Wiener Büros erscheint, dann haben wir viele Wochen und Tage dafür gearbeitet.
- Zählt dazu auch Ihr Kritiker- und Aktivistendasein, oder sehen Sie sich gar nicht in diesen Rollen?
- Das ist für das Az W eher hinderlich. Mir wurde zugetragen, daß das Az W die fehlenden Budgetmittel vom Bund schon bekommen würde, wenn ich mich nicht kritisch zum Weltkulturerbe äußern würde. Aber ich kann nicht anders.

- Sieht man sich dann als Konkurrenz gegenüber anderen Architekturkritikern?
- Ich hab mich nie als Konkurrenten von irgendjemanden gesehen. Wenn, dann hat mich irgendjemand um einen Text gefragt. So wie mich Achleitner sehr häufig weiterempfohlen hat, habe ich jüngeren KollegInnen weitergeholfen.

- Ich meine eher Ihren Kampfgeist. Sagen wir so: Sie mischen sich gerne ein, oder?
- Deswegen habe ich mir einen Jahreslebenszyklus verordnet, der das unterbindet. Ich versuche nur ein Drittel des Jahres physisch in Wien zu sein. Ein Drittel verbringe ich auf meinem Bauernhof und ein Drittel bin ich irgendwo in der Welt unterwegs. Wenn ich länger in Wien bin, zieht es mich sofort in diesen Sumpf hinein. Außerdem gibt es keine zeitgenössische Architekturkritik mehr, nur Architekturjournalismus. Das Spectrum in der Presse kann ich schon seit Jahren nicht mehr lesen – nach der zweiten Zeile weiß man, da wird jetzt wieder ein Projekt gefeatured und fertig.
- Dann muss ich aber nach dem neuen FORUM fragen?
- Sicher ein Fortschritt in der Welt der Architekturmedien. Ich hatte mir schon immer den Typus einer „Architekturzeitung“ gewünscht. Lebendig, polemisch und viel technische Information. Und wirkliche Kritik, das Aufzeigen der Fakten, sich aus dem Fenster zu lehnen, das macht sonst kaum mehr jemand. Sonst geht es heute nur noch um mediale Vermarktung.
- So wie Sie Hollein zum Stararchitekten erklärten? Oder darf man das ironisch sehen?
- Ist er denn keiner ? Es ist heute die Kulturindustrie, die Architekten mit entsprechenden Agenten braucht. Ich bin ja dafür, dass das so passiert. Man soll nur nicht so tun, als ob es noch eine Baukritik mit allgemeingültigen Werten gäbe.
- Dann muss ich aber wieder auf „emerging“ zurückkommen. In der Publikation findet doch genau das statt, was Sie gerade kritisiert haben – eine subjektive Auswahl, die dann doch beliebig ist, mit vielen Beschreibungen ohne Kritik.
- Die Auswahl war die Verantwortung des Kurators Otto Kapfinger. Er hat recherchiert, geforscht, bewertet, geurteilt. Das ist absolut legitim und richtig. Und „emerging“ hatte die konzeptuelle Aufgabe, noch unbekannte Büros international bekannter zu machen.
- Vielleicht verraten Sie uns jetzt doch, was Sie dann vorhaben?
- Nein, daran wird noch gearbeitet. Aber noch einmal. Ich würde mir wünschen, dass man uns als das sieht, was wir sind: nämlich eine Institution, die versucht den internationalen Diskurs nach Wien und den österreichischen ins Ausland zu bringen. Wir sind kein nettes Schaufenster der Wiener Architekturdiskussion für Wien. Dafür wären unsere Mittel auch falsch eingesetzt.
- Die Mittel in Summe? Oder ist das ein Geheimnis?
- Nein, das ist kein Geheimnis. Von der Stadt Wien bekommen wir jetzt knapp 1,5 Millionen Euro und vom Bund seit 1995 unverändert etwa 360.000 Euro. Es gab aber die Regelung bei der Gründung, dass ein Drittel vom Bund und zwei Drittel von der Stadt kommen sollten. Der Bund ist jetzt aber bei einem Sechstel gelandet. Und aus Kooperationen, Eintrittsgeldern, Sponsoren, Vermietungen lukrieren wir weitere 360.000 Euro. Insgesamt ergeben sich damit zirka 2,2 Millionen Euro Budget im Jahr.

- Was ist aus der Adressänderung im Museumsquartier zum „Hof der Architektur“ geworden? Kein Geschenk zur Zehnjahresfeier vom MQ?
- Nein, im Gegenteil. Wolfgang Waldner hat allen kulturellen Institutionen im Quartier den Krieg erklärt, und wir werden mit allen Mitteln behindert und schikaniert.
- Das Museumsquartier ist zum kulturellen Kampfplatz unter Direktoren geworden. Kommt Ihnen das als Kämpfer entgegen?
- Wir können Waldners Bösartigkeiten ja nicht mehr ernst nehmen. Er kann ja nicht gewinnen und Generaldirektor aller Institutionen werden. Es ist so jenseitig, daß man nur mehr mit Spaß und Satire darauf reagieren kann.
- Also wird intern gestritten. Für das Areal des Museumsquartiers wäre es aber wichtig gewesen, Fischer von Erlach etwas durchlässiger zu machen.
- Stimmt total. Aber sogar architektonisch haben sie den Fehler gemacht, noch einmal mehr diese Längsachse zu betonen. Die zusätzlichen Durchgänge sind keine durchlässigen Öffnungen, sondern eine Türenorgie – das ist völliger Schwachsinn.

- Wieviel Architektur braucht Dietmar Steiner privat?
- Ich brauch nur ein Hotelzimmer, sagt meine Frau.
- Und hat sie recht damit?
- Ja. In Wien bin ich Untermieter bei ihr, ein Zimmer mit Tisch und Laptop, Bett und Reisetaschen in fünf Größen – reisefertig aufgereiht, und zugemüllt mit Büchern und Materialien. So schaut auch jedes Hotelzimmer aus, das ich benutze. Außer dem Fluchtort – ein alter hergerichteter Bauernhof, für die Lebensqualität.
- Mit welchem Architekten?
- Ohne Architekten. Entstanden aus der banalen Selbsttätigkeit der Professionisten. Ich brauche gerade in meinem Leben auch einen architekturfreien Ort.
Dietmar M. Steiner, geboren 1951, Mag. arch., Studium der Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien,langjähriger Mitarbeiter von Friedrich Achleitner am Archiv „Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert“, bis 1989 Lehrtätigkeit an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien an der Lehrkanzel für Geschichte und Theorie der Architektur. Zahlreiche Beiträge zur Kritik und Theorie der Stadt und Architektur in internationalen Medien. Zahlreiche Ausstellungen und Publikationen. Seit 1989 eigenes Büro für Architekturberatung in Wien. Seit 1993 Direktor des Architekturzentrum Wien. Von 1995 bis 1999 Redakteur für Architektur der Zeitschrift domus in Milano, der international größten Fachzeitschrift für Architektur, Design, Kunst und visuelle Kommunikation. Seit 1997 Mitglied des Advisory committee des Mies van der Rohe Pavilion Award für Europäische Architektur und seit 1998 Mitglied des ICAM Board (International Confederation of Architectural Museums). 2002 Komissär des österreichischen Pavillons bei der Architektur Biennale in Venedig.
erschienen in Architektur&Bauforum Nr.14/Aug.03