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„Das klappt gut“

redaktionsbüro: Antje Mayer
Gabriele Schor:
- Sie kommen gerade aus Istanbul, wo die Sammlung Verbund Mitte September ihre Ausstellung „Held Together With Water“ im Museum of Modern Art eröffnet hat (bis 11. Januar 2009). Hatten Sie keine Angst mit feministischer Kunst aus den Siebziger Jahren, die naturgemäß oft provokant ist, dort religiöse Gefühle zu verletzen?
- Solange man nicht Atatürk beleidigt! Ich habe die Menschen in der Türkei als offen erlebt und sehr interessiert an zeitgenössischer Kunst. Das Publikum war begeistert, immerhin ist das die erste Ausstellung mit feministischer Kunst in der Türkei. Das Video „La Femme sans Tête“ der türkischen Künstlerin Nil Yalter aus dem Jahre 1974 ist eines der wichtigsten Werke innerhalb der jüngeren türkischen Kunstgeschichte. Wir zeigen Nil Yalters Video das erste Mal in Istanbul gemeinsam mit wichtigen Positionen der feministischen Kunst wie Cindy Sherman, Francesca Woodman, Birgit Jürgenssen, VALIE EXPORT, Nan Goldin oder Sarah Lucas. Man hat sich dafür sogar persönlich bei uns bedankt.

- Ich finde es ungewöhnlich, dass ein konventioneller Energiekonzern eine Sammlung aufbaut, deren Schwerpunkte Performance/Räume /Orte und feministische Kunst sind. Nicht gerade das, was die Mitarbeiter des Unternehmens gemeinhin als Kunst verstehen dürften?
- Natürlich stoßen nicht alle Kunstwerke auf Gegenliebe. Aber dafür sind unsere regelmäßigen Kunstgespräche ja da, die während der Arbeitszeit stattfinden. Ich bemühe mich, den Mitarbeitern unsere Kunstwerke näher zu bringen. Das klappt gut. Ich werde zudem von einem internationalen Kuratorenteam, Philipp Kaiser, Kurator am Museum of Contemporary Art in Los Angeles und Marc-Olivier Wahler, Direktor des Palais de Tokyo unterstützt.
- Niemand stößt sich daran, wenn Hannah Wilke nackt als Jesus posiert, wie in ihrer Arbeit „Super-T-Art“ (1974-1991)?
- Wir hängen kein Werk ab, wenn es Anstoß erregt. Der Vorstand gibt uns absolut freie Hand. Wir, das dreiköpfige Kuratorium, können völlig frei entscheiden, was wir mit dem Ankaufsbudget erwerben. Wir haben in den vier Jahren eine eigene und unverwechselbare Identität im Feld der Corporate Collections entwickelt. Die Siebziger Jahre markieren für uns eine Wende und eine Neuorientierung, politisch, ideologisch und kunsthistorisch. Mit den Künstlern dieser Epoche bin ich groß geworden, sie berühren mich – und offensichtlich auch viele andere - persönlich. Diese Periode beeinflusst die zeitgenössischen Künstler bis heute. Deshalb ist das Spannende an unserer Sammlung der Dialog zwischen früheren und heutigen Positionen.
- Und sie engagieren ja auch etablierte Künstler wie den isländisch-dänischen Everybody’s Darling Olafur Eliasson…

- Yellow fog ist unser erstes Kunstwerk im öffentlichen Raum. Diese Intervention von Olafur Eliasson wurde soeben, am 9. Oktober, eröffnet. Entlang der Fassade der Verbund-Zentrale auf dem barocken Platz-Ensemble Am Hof im ersten Wiener Bezirk steigt nun jeden Abend während der Dämmerung für eine Stunde gelber Nebel auf. Wir mussten dafür – obwohl Eliasson ein bekannter Künstler ist- übrigens mehr als 40 Magistratsgenehmigungen einholen.
- Wie viel können Sie pro Jahr für neue Kunstwerke ausgeben?
- Yellow fog von Olafur Eliasson war Gott sei Dank extra budgetiert. Anfänglich hatten wir eine Million Euro pro Jahr zur Verfügung, nun ist es etwa die Hälfte. Wir kaufen an, was dem Konzept unserer Sammlung entspricht. Wertakkumulation ist nicht unser Anliegen. Wir veräußern auch keine Kunstwerke.
- Sammlungspolitik ist angesichts des überhitzten Kunstmarkts mittlerweile auch eine Frage des Geldes. Ich nehme mal an, ihre Entscheidung für die Siebziger, sehr viel Foto, Video, Frauen, Performance und die Raumgeschichten war auch finanziell bedingt?
- Nein, wir treffen unsere Entscheidungen auf der Basis kunsthistorischer Kriterien, aber natürlich im Rahmen unseres Budgets. Wir haben aber drei großformatige Fotoarbeiten von Jeff Wall, die wir vor knapp drei Jahren angekauft haben. Damals war Wall noch leistbar, heute würde der Ankauf einer Lightbox unser gesamtes Jahresbudget sprengen. Wir hatten bisher das Glück, mit den verfügbaren Mitteln wunderbare Werkgruppen zu erstehen. So konzentrieren wir uns als einzige Sammlung auf das noch relativ unbekannte Frühwerk von Cindy Sherman. Mit den Werken von Gordon Matta-Clark, Birgit Jürgenssen und Fred Sandback besitzt der Verbund jeweils die größte Sammlung dieser Künstler in Europa. Die Sammlung ist in den vergangenen vier Jahren auf über 200 Kunstwerke angewachsen, vertreten sind jedoch nur 40 Künstler. Das entspricht unserer Maxime „Tiefe statt Breite“.
- Verbund, der größte Energiekonzern Österreichs, befindet sich zu 51 Prozent in staatlicher Hand. Wäre es da nicht nahe liegender gewesen, österreichische Kunst zu sammeln, zumal das Land über keine Institution verfügt, die systematisch Zeitgenössisches sammelt, mal abgesehen vom MUMOK, das bekanntlich große Lücken in seiner Sammlung hat, die es mit seinem kleinen Ankaufsbudget wohl nie mehr schließen werden wird.
- Das Unternehmen Verbund ist seit der Liberalisierung des europäischen Energiemarktes zu einem international agierenden Konzern geworden, deshalb sollte auf Wunsch des Vorstandes auch die Sammlung international orientiert sein. Wir leben in einer globalisierten Welt, eine nationale Ausrichtung scheint mir deshalb für eine Kunstsammlung nicht mehr zeitgemäß. Wir sammeln nicht nur, wir forschen auch, stellen kunsthistorische Bezüge her und publizieren auf wissenschaftlichem Niveau. Demnächst erscheint, in enger Zusammenarbeit mit Cindy Sherman, der „Catalogue Raisonné“ zu ihrem Frühwerk. Einige der Künstler in der Sammlung sind von ihr beeinflusst. Aber wir haben auch bewusst Werke von Künstlerinnen angekauft, die wiederum Sherman beeinflusst haben, wie beispielsweise Eleanor Antin.
- Noch nie gehört.
- Sehen Sie. Durch uns lernen Sie noch was.

Dieser Text ist in der Kunstzeitung Nr. 11/2008 erschienen
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