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"Der Drang nach Diskurs"

Im Gespräch mit Branislav Dimitrijević, serbischer Kunsthistoriker und Kurator, Autor der Essaysammlung „Zurück aus der Zukunft“

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Branislav Dimitrijević:
- Die Belgrader Architektin Milica Topalović sprach einmal von einer „neuen Realität“, mit der in Serbien derzeit niemand umgehen kann. Auf welche Realität reagiert die gegenwärtige Kunstszene?
- Ich würde sagen, dass eine Realität des Traumas in Serbien existiert, die oft unterdrückt wird. Der traumatische Moment wird durch die Unfähigkeit definiert, adäquat auf die jetzige Situation antworten zu können. „Realität“ ist gewöhnlich verbunden mit der Idee eines „objektiven“ Blickes auf die Gegebenheiten, Bedingungen und mit den Hinweisen auf soziales und ökonomisches Leben. Aber diese Sicht kann gänzlich widersprüchlich sein, getrieben von Konflikten, Frustrationen und Verteidigungsmechanismen.
- Wie geht Serbien mit seiner jüngsten Vergangenheit derzeit um?
- In Serbien haben sich ungelöste Kriegserfahrungen und das Trauma des kapitalistischen Übergangs mit dem einer Sehnsucht überschnitten. Das Fehlen einer kritischen Öffentlichkeit in Verbindung mit beiden grundsätzlichen strukturellen Ereignissen, die die Gesellschaft von Serbien umgestaltete, wird nun ersetzt durch konstante lokale Streitigkeiten und Klagen über unsere Unfähigkeit, damit umzugehen. Aus der Krise entsteht doch auch eine Dynamik. Ich glaube, dass die Profession der zeitgenössischen Kunst diese „Realität“ brechen kann. Man sieht das auf verschiedenste Art bei den Arbeiten von Künstlern wie Uros Djurić, Milica Tomić, Biljana Djurdjević, Skart, Vladimir Nikolić, Rasa Todosijević, Apsolutno und vielen mehr. Das ist ein weites Thema und die neueste Ausstellung von Kunst der Neunziger in Serbien („On Normality“, MOCAb, Belgrad, 2005) versucht, genau das auf umfassende Weise zu zeigen.
- Wie wichtig sind die Künstler der sechziger und siebziger Jahre in Serbien für diese jüngere Generation – wie Tomislav Gotovac, Raća Todosijević oder Goran Djordjević? Existiert eine lebendige Diskussion? Gibt es Vater- und Mutterfiguren, wie dies in der slowakischen Kunstszene etwa Július Koller ist?
- Die erwähnten Künstler stellen so etwas wie die „dritte Wahl“ im künstlerischen Klima des ehemals sozialistischen Jugoslawien dar. Jugoslawien war damals aber von den zwei offiziellen Kunstrichtungen dominiert: die des späten modernistischen „Ästhetizismus“ in der akademischen Kunst und die bourgeoise „Regimekritiker“-Kunst. Bis jetzt sind diese Künstler nicht besonders bekannt, nicht einmal unter Kunststudenten. Leute wie Todosijević waren lange geächtet auf Grund ihrer starken Kritik an der konservativen Kunstausbildung. Ich denke, dass andere Künstler dieser Generation, Era Milivojević und Nesa Paripović in Belgrad, Sanja Iveković und Mladen Stilinović in Zagreb, und sicherlich Braco Dimitrijević, eine sehr wichtige Rolle für einige jüngere Künstler darstellen. Vater- und Mutterfiguren waren sie aber nie. Und das ist auch gut so.
- Existiert eine inhaltliche Verbindung – gebrauchen jene Künstler zum Beispiel Ironie als Mittel, um auf eine komplexer gewordene und desorientierte Gesellschaft zu antworten?
- Das Thema Ironie ist sehr komplex. Sicher ist, dass sie in der Kunst omnipräsent ist, besonders wenn keine strukturelle Verbindung zwischen der marginalisierten Position der Künstler und dem unabhängigen politischen und institutionellen „System in der Krise“ herrscht. Auf der anderen Seite ist Ironie zu einer berechenbaren Sprache geworden, weil es auch die Sprache des Neo-Konzeptualismus ist. Wie auch immer, es ist „unsere“ Sprache und „unsere“ Art und Weise, wie wir uns artikulieren und mediatisieren. Es zeigt aber auch unsere Unfähigkeit, seriösen Einfluss auf die große weite Welt zu haben. Sie beschreiben in ihrem Essay unter anderem auch die zwiespältige Öffnung Jugoslawiens in den sechziger Jahren.
- Was bedeutete das für die Kunst?
- Die Periode des Konzeptualismus in Jugoslawien in den späten Sechzigern und Siebzigern war ein Teil der internationalen Bewegung. Diese ermöglichte die „Öffnung“. Es ist interessant, weil sie zeigte, dass sich die jugoslawischen Künstler sehr wohl des westlichen Konzeptualismus bewusst und davon beeinflusst waren, wie etwa desjenigen von Kosuth, De Maria oder Beuys. Die jugoslawischen Künstler wollten Teil dieses Trends sein, und haben durch spezifische lokale, politische wie ökonomische, Bedingungen etwas eigenes daraus entwickelt. Ein eigener Diskurs entwickelte sich aber nicht. Dieser existiert in Jugoslawien auch heute nicht und war damals – wie heute – stark von der westlichen Kunstrezeption beeinflusst. Prinzipiell brauchen wir dringend eine Form der Kritik, die eine Praxis ermutigt und nicht desillusioniert – sowohl hinsichtlich der sozialistischen Ära und besonders hinsichtlich des jetzigen Neoliberalismus. Im Moment sehe ich eine gewisse Sackgasse in der Argumentation aufgrund der ökonomischen und intellektuellen Frustration.
- Ist der Kapitalismus daran schuld?
- Die kulturelle Logik des Kapitalismus ist eine seltsame Angelegenheit. Auf der einen Seite hat die Aufmerksamkeitsökonomie der Werbung und kulturellen Reproduktion den Effekt eines öffentlichen „Mehr-vom-Gleichen-Wollen“, auf der anderen Seite: Wenn das kulturelle Produkt nicht von der Stärke eines etablierten Diskurses begleitet wird – und da liegt der große Unterschied zwischen moderner und postmoderner Kunst in Ost und West –, dann kann es bestenfalls ein Produkt mit anthropologischer Herkunft werden. Die moderne und zeitgenössische Kunst des Balkans gilt als interpretiertes Visavis der westlichen Rezeption und ist meistens in diesem Zusammenhang erzählt worden.
- Der Unterschied in Jugoslawien war aber die frühe „Öffnung“. Wo beginnt dort demnach der „Postkommunismus“?
- Wir sollten vielleicht davon ausgehen, dass der erste postkommunistische Impuls in Jugoslawien schon in den frühen fünfziger Jahren zu finden ist, als Stalins Dogma sich auflöste und die Prozesse der Verwestlichung und Liberalisierung anfingen. Die haben sich zunächst in der populären Kultur und der Bilderwelt geäußert. So kam es später zu Ereignissen, wie bei den Demos der 68er, als Studenten „mehr Kommunismus“ in einem kommunistischen Staat verlangten. Der Tod Titos war nur Zeichen des Zerfalls von Jugoslawien.
- Was bedeutet der Begriff „Postkommunismus“ für die Länder des ehemaligen Jugoslawien?
- Der Begriff „Kommunismus“ beziehungsweise „Postkommunismus“ kann Missverständnisse erzeugen. Kommunismus könnte der ersehnte Inhalt einer sozialistischen Gesellschaft gewesen sein, wurde aber nicht gelebt. Nach dem Zweiten Weltkrieg verblieb der Kommunismus als reine Vision, die mit Bildern gefüllt werden musste. Auch wenn der Kommunismus, als klassenlose Gesellschaft, in der Praxis nie erreicht wurde, kann man die Worte Ivaylo Ditchevs (Professor für Kulturanthropologie an der Universität Sofia) unterstreichen, der den Kommunismus als „state of mind“ und den Sozialismus als „state of facts“ bezeichnete. Deswegen sprechen wir vom „Postkommunismus“ in Verbindung mit einer bestimmten Denkweise, und nicht in Verbindung mit einer historischen Erscheinung. In Bezug zu einem utopischen Versprechen ist der Begriff des „Postkommunismus“ eine ideologische Erfindung, die das Ende aller universellen Projekte ankündigt, ein Zeichen des post-historischen und post-ideologischen Zustands. Im Moment gerät die Vorstellung von einer post-ideologischen Welt schon ins Wanken.
- Sie sprachen auch über den „sozialistischen Konsumismus“, eine Eigenheit Jugoslawiens?
- Ich habe über den Begriff des „socialist consumerism“ gesprochen, um einen wichtigen Aspekt herauszuheben, der die „Anthropologie des Alltäglichen“, eines ökologischen und politischen Systems und einer kulturellen Identität, beschreibt. Dabei geht es darum, dass die ideologische Basis, die „transition to Communism“, mit einer Konsumenten-Traumwelt verwässert wurde. Seit Mitte der sechziger Jahre schaffte das Tito-System eine öffentliche Sphäre, gebildet aus einer ideologischen und praktischen Mischung des kommunistisch utopischen und des kapitalistischen Konsumenten-Versprechens.
- Wie konnte dieser extreme Nationalismus entstehen?
- Als Amerikas Unterhaltungsindustrie mit der „Kolonisation des Unterbewussten“, wie der deutsche Regisseur Wim Wenders es ausdrückte, in den Neunzigern nach Osteuropa und Asien drang – und das begann kontrolliert in Jugoslawien bereits 1950 – war das ein Zeichen der Liberalisierung und neuen Offenheit dieser Länder. Die Ausbreitung der westlichen Populär-Kultur wurde gleichbedeutend mit dem Prozess der Demokratisierung. Dieser Typus der kulturellen Vorherrschaft verhinderte jedenfalls andere Formen oder Experimente von Demokratie. Titos Jugoslawien, mit der Illusion eines hohen Lebensstandards, relativer Marktfreiheit, Reisefreiheit und dem Erhalt von Fremdwährung, verhinderte in der Tat eine reale Alternative zu einem dogmatischen Sozialismus. Ich denke, dass der Konsumsozialismus die ganze jugoslawische Gesellschaft betäubte und eine neue Form der Klassengegensätze schuf – die letztendlich in den nationalen Gegensätzen mündete. Wie auch immer, das ist eine Frage, die eine eigene Analyse erfordern würde.
Branislav Dimitrijević, 1967 in Belgrad geboren, arbeitet als Kunsthistoriker, Schriftsteller und Kurator. Er lehrt an der Schule für Kunst und Design (VSLPUb) in Belgrad und als Kurator am Museum für zeitgenössische Kunst Belgrad. 1999 gründete er die „Schule für Geschichte und Bildtheorie“ in Belgrad. Außerdem publizierte er zahlreiche Essays zur zeitgenössischen Kunst, Kunsttheorie, Film und visuellen Kultur.

Letzte Publikationen: „International Exhibition of Modern art feat. A. Barr’s Museum of Modern Art“, hrg. von MOCAb, Belgrad, 2003; „On Normality: Art in Serbia 1989–2001“; hrg. von MOCAb, Belgrad, 2005. Letzte kuratorische Projekte: „Situated Self: Confused Compassionate, Conflictual“ (mit M. Hannula) und Jugoslawien Pavillon, Biennale di Venezia, 2003 (mit B. Andjelković and D. Sretenović). Branislav Dimitrijević, „Sozialistischer Konsumismus, Verwestlichung und kulturelle Reproduktion.

Buch:
Der ‚postkommunistische Übergang‘ im Jugoslawiens Titos“, in: Zurück aus der Zukunft. Osteuropäische Kulturen im Zeitalter des Postkommunismus Hrg. von Boris Groys, Anne von der Heiden, Peter Weibel Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005


Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in Zentral- und Osteuropa,Mai 2006

Link: REPORT online -