Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




Ländlich oder urban? Wie will sich Tirol und seine Hauptstadt Innsbruck in Zukunft definieren? Ein Gepräch mit Arno Ritter, dem Leiter des aut. architektur und tirol, über den Architekturboom der vergangenen Jahre.

„Tirol ist keine architektonische Wüste mehr“

redaktionsbüro: Antje Mayer
Arno Ritter:
- Die Tiroler Architekturszene ist derzeit in aller Munde. Ist sie wirklich so gut geworden oder nur ihr Marketing?
- (lacht): Die Tiroler Architektur ist offensichtlich besser geworden, auf dem Gebiet der Kommunikation und des Selbstmarketings ist sie aber immer noch relativ schlecht. Was die Qualität betrifft: Die Szene hat sich über die vielen privaten und öffentlichen Wettbewerbe, tatsächlich zunehmend etabliert. Architektonische Gestaltung im urbanen und auch im ländlichen Kontext ist „normaler“ geworden, das heißt, sie wird von der Bevölkerung und den Politikern zunehmend akzeptiert und stellenweise sogar gefordert. Herwig van Staa hat von 1994 bis 2002 als Innsbrucker Bürgermeister, nun als Tiroler Landeshauptmann, verstanden, Architektur auch als Imagefaktor im Städtewettbewerb zu erkennen.
- Haben dazu nicht eher die Stars denn die heimischen Architekten dazu beigetragen?
- Die vielen so genannten Stars, die in Innsbruck bauten, wie Zaha Hadid (Sprungschanze Berg Isel), Dominique Perrault (Rathaus Innsbruck) oder Riegler Riewe (Hauptbahnhof Innsbruck), um nur einige zu nennen, brachten der Stadt auch Publizität. Trotzdem will ich klarstellen, dass diese „großen“ ohne die „kleinen“ Projekte und Initiativen nie hätten aktiv werden können. Das Feld haben die hiesigen Architekturbüros mental aufbereitet.
- Die Vorarlberger machen es seit Jahren vor: Sie produzieren Architektur auf Weltniveau und verstehen es zudem, sie professionell zu kommunizieren. Hat sich Tirol ein Scheibchen vom Nachbarn abgeschnitten?
- Man agiert bei uns unsystematischer. Die Vorarlberger Szene ist homogener, dadurch besser vermarktbar, da sie fast Labelqualitäten aufweist. Die Bandbreite der Haltungen und Ansätze in Tirol zeigt sich breiter, und ist somit auch schlechter kommunizierbar. Für Tirol fällt es schwer, eine Art Einheitlichkeit wie in Vorarlberg zu formulieren. Es gibt auch keine bestimmte Typologie oder Ideologie, vielmehr herrscht eine bunte Vielfalt vor, die durch Zufälle, persönliche Meinungen und Vorlieben geprägt ist.
- Woher dann der große Erfolg?
- Das Zugpferd war und ist sicher die Landeshauptstadt Innsbruck mit der Bürgermeisterin Hilde Zach, die den Mut zur neuen Architektur zeigt, den van Staa vorgemacht hat. Von dort gehen viele wichtige Impulse aus.
Einen großen Einfluss hat zweitens die Lebensmittelkette M-Preis, die ihre -immerhain 130 Filialen im ganzen Land von Architekten gestalten ließ und lässt. 100.000 M-Preis-Kunden sind somit täglich mit neuen Raumstimmungen und Materialien konfrontiert. Das prägt. Die Präsentation der M-Preis Architektur auf der Architektur Biennale 2004 in Venedig war keine schlechte Werbung für Tirol.
Drittens gibt es in Tirol zwar eine Menge Einzelkämpfer, die sich aber in den vergangenen Jahren zunehmend gegenseitig unterstützten. Auch das „aut. architektur und tirol“ spielte dahingehend eine wichtige Rolle. Das Haus bietet eine Plattform für Diskussionen, Dokumentationen und Ausstellungen.
- Das Lob von außen ist wohl auch für manche unverbesserlichen Nörgler ein Anstoß zum Umdenken?
- Der Blick von außen fördert freilich das Selbstwertgefühl: Man ist stolz auf das, was man geleistet hat und will das Niveau halten. Außerdem ist in Tirol ein Generationswechsel zu verzeichnen und die Besitzverhältnisse ändern sich. Die Ansprüche der Jüngeren sind spürbar anders und damit einhergehend entsteht auch oft das Bedürfnis nach moderner Architektur. Zusammengenommen ist nun schon soviel gute Architektur vorhanden, dass man wahrlich nicht mehr behaupten kann, Tirol sei eine architektonische Wüste.
- Die Tiroler Landeshauptstadt wirbt mit dem Slogan „Innsbruck wird Weltstadt“. Die neuen Baumaßnahmen sind jedoch nicht ganz unumstritten. Man wirft den Stadtvätern vor, gesichtslose Globalarchitektur den Vorzug zu geben, auf Kosten einer lokal geprägten Typologie und ohne Rücksicht auf Erhaltung alternativer Stadträume. Ist Innsbruck tatsächlich auf dem richtigen Weg?
- Dieser Slogan zeugt von Provinzialität, denn keine echte Weltstadt hat es nötig, sich als ein solche zu bezeichnen. Die Mentalität ist in Innsbruck nach wie vor sehr rural und kleinstädtisch geprägt und alternative Räume gibt es wenige. Das ist weniger eine Frage der politischen Färbung im Rathaus, wie ich meine, sondern Ergebnis einer zu geringen urbanen wie bevölkerungsmäßigen Dichte. Ich würde die kulturpolitische Stimmung in Innsbruck angesichts der gesellschaftspolitischen Voraussetzungen aber sogar als relativ liberal bezeichnen.
- Sind die Städte in Vorarlberg nicht weitaus urbaner strukturiert?
- Durchaus, nicht zuletzt weil das ganze Land dort früher industrialisiert wurde. Das Vorarlberger Bürgertum und Proletariat, das es in Tirol so nicht gibt, hat bereits in den Sechziger und Siebzigern eine sozial- kulturelle Diskussionen begonnen. Langsam zieht das Land Tirol nach, durch den Tourismus entwickelten sich außerhalb Innsbruck extrem urbane Strukturen. Man tendiert derzeit sogar dahin, nicht mehr von einem Stadt-Land-Raum zu sprechen, sondern Tirol in Zukunft vielmehr als städtischen Raum zu begreifen. Nicht zuletzt, da Tirol Standort von vielen Unternehmen -und ich meine damit nicht nur Swarowski oder Riedl-, geworden ist, die man ohne weiteres als Global planer bezeichnen darf, und weil es als ein bedeutender verkehrstechnischer Knotenpunkt Richtung Westen und Süden dient.
- Wann hat eigentlich dieses Umdenken in Tirol begonnen?
- Ich würde sagen, dieser Wendepunkt war Mitte der Neunziger Jahre, also noch gar nicht so lange her. Ab diesem Zeitpunkt wurden Veränderungen langsam sichtbar. Ein Meilenstein war der Bau der SOWI Fakultät Innsbruck (1989 – 1999) von henke und schreileck Architekten, ein sehr umstrittenes und schwieriges Projekt, das ein Umdenken markierte und die Stadt Innsbruck letztendlich architektonisch und vor allem stadtstrukturell neues Leben einhauchte.
- Ist das Architekturforum Tirol, heute „aut. architektur und tirol“, mitverantwortlich für die lebendige Szene?
- Ich behaupte ja. 1993 wurde dann das Architekturforum Tirol auf Initiative einiger engagierter Architektinnen und Architekten gegründet. 1997 gab es dann eine Art „Putsch“ in der Tiroler Architektenkammer. Eine Liste von Personen, die aus dem Architekturforum Tirol stammten gewann die Wahl. Ende der Neunziger brach dann eine Lawine an internationalen Wettbewerben über uns herein, geradezu ein Boom war zu verzeichnen, wenn der auch nicht ganz unproblematisch aus heutiger Sicht ist. Denn der Nachteil ist, dass man vor lauter Bauen teilweise nicht mehr zum Reflektieren kommt.
- Man war ja nicht immer so voll des Lobes für die Tiroler Architektur, ganz im Gegenteil. Stichwort: Zersiedelung, Tiroler Heimatkitsch-Architektur, Umweltzerstörung durch Tourismus?
- Bei aller Euphorie, Tirol hat zwar die architektonische Vorhölle verlassen, aber das Paradies ist noch lange nicht erreicht. Der Baugrund ist wegen der Topographie in Tirol knapp. Langsam sieht man ein, dass eine systematische Raumplanung wichtig ist, wofür auch gerade ein Leitbild bis 2006 formuliert wird. Dass es dagegen viele Interessengruppen gibt, die eine Regulierung nicht einfach so hinnehmen wollen, liegt auf der Hand. In Tirol ist zuviel Boden als Bauland gewidmet, aber die Gemeinden merken langsam, dass sie sich unkontrollierten Wachstum nicht mehr leisten können, weil auch ihre Infrastrukturkosten damit rapide steigen.
- Zaha Hadid hat kürzlich erst den Wettbewerb für die Architektur der neuen Nordketten Bahn gewonnen. Aber wie steht’s mit dem jungen heimischen Nachwuchs?
- Die Gründung der Fakultät für Architektur und Bauingenierwesen war strukturell sehr wichtig, denn seit 1969 kann man auch in Innsbruck Architektur studieren, davor mussten man nach München, Graz oder Wien „auswandern“. Der Tiroler Nachwuchs ist eine Art Kraftquell für die Szene, denn die Leute können hier bleiben und verlieren ihre Sozialkontakte vor Ort nicht. Die jungen Architekten bauen hier auch ihre ersten Projekte, meist im familiären Kontext, und sie sorgen für eine aktuelle Diskussion und einen regen Austausch.
- Gibt es eine große Konkurrenz unter den Architekten in Tirol?
- Die hohe Dichte junger Architekten stellt schon ein Konkurrenzproblem für die ältere Generation da. Aber alle haben erkannt -und umständehalber sind sie auch gezwungen- mehr im Kollektiv zu denken. Annähernd 200 Architekturbüros, die Mitglieder in der Kammer sind, existieren derzeit in Tirol, circa 80 haben eine ruhende Mitgliedschaft angemeldet, die Zahl der jungen Architekturbüros mit ausländischer Kammermitgliedschaft nicht mitgezählt. Ein Wadelbeißen und Hackelwerfen gibt es aber in Tirol eher selten. Das macht vielleicht auch die frische Energie hier aus.
Arno Ritter,1965 geboren in Wien, studierte Publizistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Wien. Von 1992 – 94 war er Sekretär der Österreichischen Gesellschaft für Architektur in Wien. Seit 1995 zeichnet er verantwortlich als Leiter des Architekturforum Tirol in Innsbruck.

aut. architektur und tirol
Lois Welzenbacher Platz 1
A- 6020 Innsbruck

Tel.: +43.512.57 15 67
Fax.: +43.512.57 15 67 12
email: office@aut.cc
aut. architektur und tirol -