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Als Mitglied der Architektengruppe Haus-Rucker-Co erschloss Laurids Ortner erstmals den Kunstbetrieb für die Architektur. Die Projekte der 60er Jahre waren eine Reaktion auf politische und gesellschaftliche Verhältnisse. Man wollte provozieren, verändern und verbessern. Heute erregt Ortner mit seiner Architektur wieder die Gemüter. Mit dem Forum sprach er über Pop-Attitüden, Trends und Investorenarchitektur.

Wie haben Sie das gemacht, Herr Ortner?

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Laurids Ortner:
- Der Vorwurf der „Veränderung“ wird mit der Architektur von Ortner & Ortner immer wieder in Zusammenhang gebracht. Ob das nun die Herangehensweise von Haus-Rucker-Co bis zu Ortner & Ortner betrifft oder auch die lange Planungszeit der zwei Großprojekte „Museumsquartier“ und „Wien Mitte ist“. Wie stehst du dazu?
- Veränderung ist das Elixier. Damit wird jedes Projekt geformt. Architektonische Prozesse brauchen zahllose Änderungen. Nicht umsonst gibt es das Transparentpapier speziell für die Architekten. Wir müssen auf veränderte Anforderungen regieren und sie intelligent integrieren, das ist die Aufgabe jedes Architekten. Und zwar ohne dass dabei die charakteristische Qualität eines Projektes verloren geht. In der Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit sind demokratische Spielregeln einzuhalten - auch von der Gegenseite.
Nachdem alle alles sagen konnten, alle Einsprüche, Verfahren und juridischen Modalitäten erfüllt wurden, muss man sagen können: So lasst uns das jetzt machen!
- Als Haus-Rucker-Co habt ihr euer Interesse und Engagement an „demokratischen Prozessen“ gezeigt. Jetzt seit ihr mit den Großprojekten „Museumsquartier“ und „Wien Mitte“ praktisch daran beteiligt. Wie reagiert man heute darauf - mit diesem Hintergrund?
- Unsere Sicht der Architektur hat sich über die Jahre nicht verändert – nicht nur politisch.
Offensichtlich sind formale Gemeinsamkeiten zwischen Haus-Rucker-Co und Ortner & Ortner. Wir kommen damals wie heute mit einer einfachen, lapidaren Art der Formgebung aus - auch der spezifische Einsatz von Materialien ist gleich geblieben. Damals waren es dünne Häute. Heute sind es schwere Schichten. Beides erfüllt seinen Zweck. Beim „Ballon für Zwei“ ging es um eine visuelle Sensation in der Stadt. Der Ballon kam aus dem ersten Stock eines Hauses und öffnete sich über dem Straßenraum. Der Straßenraum war dadurch tatsächlich als Raum erlebbar.
Unsere heutige Architektur hat andere Kriterien zu erfüllen. Sie muss längerfristige gültig sein, hat keinen temporären Charakter mehr. Ihre Qualität liegt darin, dass sie Zeit speichern kann und dichte Atmosphäre erzeugt. Das Museumsquartier kann das.

- Diese sich ständig wiederholenden Auseinandersetzungen – das Museumsquartier wurde erst nach über 10 Jahren fertiggestellt, Wien Mitte begann überhaupt schon 1987 – seid ihr öffentliches Interesse mittlerweile gewohnt?
- Wenn man darin einen Zusammenhang zwischen HRC und O&O sehen kann, dann sicher unter umgekehrten Vorzeichen. Haus-Rucker-Co hat mit den Arbeiten immer eine gehörige Portion Provokation mitgeliefert. Wir wollten öffentliche Aufregung! Und das ist oft gelungen. Bei unseren Arbeiten, die wir jetzt machen, kommt der demokratische Konfliktstoff unfreiwillig. Ich würde ihn lieber vermeiden, wenn es ginge. Aber das ist bei diesen Größenordnungen und bei Standorten mitten im Herz der Stadt natürlich unmöglich.
- Sind diese demokratischen Prozesse nicht auch verbesserungswürdig. Stichwort: Investorenarchitektur – die hat doch seit jeher einen negativen Touch?
- Hierzulande ja. Doch die ganze Schelte Richtung Investorenarchitektur ist unreflektiert.
Wenn man zweimal nachdenkt, erkennt man, dass mittlerweile fast alles Investorenarchitektur ist. Auf der einen Seite wollen wir, dass sich der Staat aus allen Themen rigoros zurückzieht. Nur, wer soll dann öffentliche Einrichtungen herstellen? Bei Wien Mitte muss der Investor auch gleich den Bahnhof mitbauen. Im Grund genommen ist das ein ganz normaler demokratischer Prozess. Nur fehlt uns die Kultur, wie man mit solchen Prozessen umgeht. Der Investor muss die Möglichkeit haben, seine Interessen zu realisieren und die Öffentlichkeit muss eine Chance haben, Einfluss zu nehmen und ihre Bedürfnisse zu reklamieren. Die Politik wird immer mehr im Hintergrund verschwinden.
- Du hast dich in deinen früheren Texten öfters auf den Film bezogen. Was fasziniert dich am Film?
- Der Film kann, auf zweidimensionale Weise, Atmosphäre erzeugen. Wenn man einen guten Film sieht, wird man in die Geschichte hineingesogen - man ist Bestandteil, Held oder Opfer.
Diese Geschichte macht sich weniger an den Schauspielern fest, die, wenn man es auf die Architektur übertragen würde, die Form darstellen. Sie macht sich an der Atmosphäre fest. Architektur kann das auf dreidimensionale Art. Das ist die eigentliche Qualität dieses Mediums und darauf haben wir uns zu konzentrieren: auf die Erzeugung von Atmosphäre. Form ist dabei ist die Schauspielerei. Ich wünsche mir, dass wir als Architekten genauso über Architektur sprechen könnten, wie Regisseure über ihre Filme.
- Also aus anderen Bereichen lernen?
- Mehr als das. Was die Filmemacher absolut von den Architekten unterscheidet, ist, dass sie nie den Faden zu ihrer eigenen Geschichte verloren haben. Sie bauen darauf auf und lernen davon. Truffaut fragt: Wie haben sie das gemacht Mr.Hitchcock? Bei den Architekten würde keiner fragen: Wie haben sie das gemacht, Herr Ortner? Wir haben unsere eigene Architekturgeschichte gründlich ruiniert, indem wir unter allem weggetaucht sind, was mit theoretischer, mit historischer Auseinandersetzung zusammenhängt. Mit diesem Mangel an Bewusstsein stehen wir in Europa ziemlich hinterwäldlerisch und allein da.
- Boris Prodrecca hat vor kurzem behauptet, dass Wien sich durch seinen fragmentarischen Charakter auszeichnet, weil hier 5 Generationen von Architekten bauen – damit weiß niemand umzugehen. Stimmst du zu?
- Interessantes Thema. Österreich zeichnet sich für mich durch eine gewisse „ideologiefreie Zone“ aus - keine Theorie - keine Form von kontinuierlicher Auseinandersetzung. Niemand kann sich in einen Prozess einklinken. Das hängt für mich mit der Formverliebtheit zusammen. Autistisch versucht jeder seine eigene Sprache zu entwickeln und glaubt, er ist der großen Architektur auf der Spur. Dann braucht man sich nicht wundern, wenn eine gemeinsame Sprachlosigkeit existiert. Tatsächlich gibt es aber keine konkrete Form der Auseinandersetzung. Kollhoff hat das kürzlich gut definiert: „Wir müssen wieder dort anknüpfen, wo der Faden gerissen ist.“ Und das war spätestens zu Beginn der klassischen Moderne. Damals, aus berechtigtem Grund, gab es einen Schnitt mit der Geschichte - ein radikaler Versuch auch mit Architektur dazu beizutragen, ein Gesellschaftsmodell zu verbessern und eine neue Form der Gesellschaft mitzukreieren. Doch das ist fast 80 Jahre her.
- Die westliche Gesellschaft hat mit ihrer Marktwirtschaft ein konsolidiertes Modell, zu dem es bis auf weiteres keine Alternativen gibt. Unter diesen Umständen können wir uns an eine kontinuierliche Verfeinerung machen. Avantgarde? Nur mehr zur Erinnerung an heroische Seiten?
Womit hängt das für dich zusammen? Liegt es an unserer Ausbildung?
- Sicher. Mittlerweile konzentrieren sich alle großen österreichischen Architekturschulen darauf, aus den Studenten Originalgenies zu machen. Mit der absurden Perspektive, sich irgendwann in 30 Jahren in ein - dann hoffentlich noch existierendes - Starsystem einklinken zu können.
- Aber das hast du doch in der 60er vorgegeben...
- Damals doch auf andere Art und Weise. Da gab es noch einen Bereich zwischen Kunst und Architektur, den man neu erschließen konnte. Wir haben uns an Pop-Attitüden und Strategien des sich Sich-Inszenierens orientiert und versucht, sie in den Bereich der Architektur zu übertragen.
- Existiert seit dem nicht eine Identitätskrise in der Positionierung als Architekt und die ständige Frage: Bin ich nun Künstler oder doch Dienstleister?
- Es gibt ja die proklamierte Stararchitektur. Architektur mit Willen zum Mut ist doch nur mutwillige Architektur, die Aufsehen erregen will. Der Egotrip. Das Setzen auf persönlichen Formalismus, die persönliche Neuerfindung. Was für die Moderne in einer zugespitzten gesellschaftlichen Situation richtig war, wird anachronistisch als Prinzip weiterbetrieben. Das ist auch die Ursache, warum es bei uns so gut wie keine kontinuierliche theoretische Auseinandersetzung gibt, sich keine Ideologie entwickelt, die den Karren weiterbewegen kann. Ohne allgemein anerkannte Grundsätze kann es aber keine weitere Entwicklung geben. Immer wieder bei Null zu beginnen mag persönlich ganz abenteuerlich sein, ist insgesamt aber nur unprofessionell.
- Ein Thema, das dich auch lange begleitet, ist das der Mode. Eure Architektur ist dennoch nicht modisch. Was bedeutet Mode für dich?
- Die Herrenmode mit ihren feinen Abwandlungen von konventionellen Modellen hat viel mit einer entwicklungsfähigen Architektur zu tun. In einem Anzug von Helmut Lang fühlst du dich auch nach Jahren noch gut angezogen. Trotz der Trends, die ins Land gezogen sind.
Mit unserer Architektur allerdings sind wir ziemlich weit von dem entfernt, was in Österreich für gut gilt. Wir haben nichts mit dieser Formduseligkeit zu tun, die hier für innovativ gehalten wird. Wenn nun auch noch Politiker mutig werden und nach mutiger Architektur rufen, spätestens dann müsste uns dämmern, dass da seit langem etwas schief läuft.
- Haben Sie nie ein Möbel ohne Auftraggeber gemacht oder versucht es in Serie gehen zu lassen?
- Ich habe ein einziges Mal einen Sessel für die Triennale gemacht, dort ist er auch verkauft worden. Einige Leute haben Möbel von mir gesehen und wollten sie haben. Ich habe sie dann immer ein wenig verändert und mit anderen Materialien und Farben ausgeführt.
erschienen in Architektur&Bauforum/05,Forum,März.03,S4.ff
Ortner Baukunst -