Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




“Ich kenne dieses Mädchen Dolly Buster nicht“

Ein Gespräch in Mailand mit Ilona Staller, genannt „Cicciolina“, über die EU-Parlamentswahlen und Politik.

redaktionsbüro: Heinrich Deisl
Ilona Staller:
- Frau Staller, bei den EU-Parlamentswahlen bewarben sich viele Kandidatinnen, die nicht aus der Politik, sondern aus der Modell- und Pornobranche kommen. Hätten Sie Tipps für diese Anwärterinnen gehabt, insbesondere für ihre Kollegin Dolly Buster?
- Um gewählt zu werden, muss man viele Komponenten zusammenbringen: Persönlichkeit und Kompetenz sind nur zwei davon. Das Wichtigste ist, dass man das, was man macht, mit Leidenschaft („passione“) betreibt. Das ist wie in dem Moment, in dem man Liebe macht. Man muss sich selbst und seinen Mitmenschen gegenüber ehrlich sein.
Ich kenne dieses Mädchen Dolly Buster nicht wirklich. Ich würde gerne wissen, warum sie das gewagt hat. Ist das eine Marketing-Angelegenheit? Ich glaube eher schon. Wenn sie ein konkretes, anwendbares Programm hätte, sähe ich an ihrer Kanditatur kein Problem. Aber hat sie das? Ich hatte für meine Inhalte mit einem Rechtsanwalt zusammengearbeitet, der meine Vorschlägen effizienter formulierte, damit sie dem Volk und dem Land auch dienen.
- Wie schätzen Sie heute ihr politisches Engagement von damals ein?
- Sehr gut. Nach meinen Erfahrungen der Live-Shows fand ich, dass es für die Politik eine gewichtige Bedeutung hat, sich mit Liebe, der Natur und Sexualität zu beschäftigen. Ich habe einige meiner Vorschläge ins Parlament einbringen können. Ich habe mich vor allem für die Information und Erziehung bezüglich Sexualität in der Schule engagiert. Weiters fand ich es wichtig, dass es Frauen und Männern im Gefängnis möglich sein soll, sich mindestens drei Mal in der Woche zu treffen, um Liebe zu machen. Das ist nicht meine Empfehlung an „dieses Mädchen“ (Dolly Buster Anm. d. Red), das sind Überlegungen, die 1987 als Gesetzesvorschlag ins italienische Parlament eingebracht, leider aber nicht ratifiziert worden sind. Die entsprechenden Anträge liegen nach wie vor im Parlament auf.
- Es gibt die vielzitierte Meinung, dass die heutige Gesellschaft „oversexed“ sei: Nicht nur die Werbung weiß um den Sex als Verkaufsargument. Die Nachtschienen der TV-Programme am Wochenende haben Softcore-Qualitäten...
- Stimmt, das finde ich auch. Sexualität wird als Marketing-Gag instrumentalisiert. Wir leben in einer Welt der Bilder. Diese Bilder suggerieren uns, dass es praktisch nur noch knackige Frauen und Männer gibt, die sich gern haben. Aber sie dürfen „es“ nicht tun: Zu unhygienisch, zu zeitaufwendig, zu groß die Angst dem Anderen und sich selbst gegenüber. Ich glaube, es ist ein großer Irrtum, die Botschaften der Werbung für bare Münze zu nehmen.
Junge Frauen leiden stark unter diesen Bildern, die sie auf den Magazin-Covern oder im Fernsehen geboten bekommen. Es wird drastisch, wenn dies zu Verhaltensstörungen und Krankheiten wie beispielsweise zu Bulimie führt.
- Sind Sie immer noch politisch engagiert?
- Ja. Nach wie vor finde ich an Sex an sich nichts Anstößiges. Es ist konstruktiv, darüber zu sprechen. Es ist wichtig, dass man denjenigen umarmt, der es benötigt. Wir dürfen nicht auf diejenigen vergessen, die Hilfe brauchen. Ältere Menschen etwa. Indem wir anderen helfen, tragen wir dazu bei, Kriege zu verhindern. Ich bin eine Anhängerin der Ideen der Flower Power-Generation. Diese Periode hat mich sehr inspiriert. Daher habe ich sie auch auf meine politischen Perspektiven angewandt. Zur Zeit kümmere ich mich wieder verstärkt um meine Live-Shows und forciere meine Internet-Präsenz. Meine aktiven politischen Ambitionen sind ungebrochen, indes noch nicht endgültig spruchreif.
erschienen in "Datum", Juli/August 04, Ausgabe 2, S.42
Datum -