Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




„Der Blick auf die Welt ist amerikanisiert“

redaktionsbüro: Antje Mayer
Barbara Coudenhove-Kalergi,Marion Kraske:
- Berichten westliche Medien zu wenig über Zentral- und Osteuropa?
- Barbara Coudenhove-Kalergi: Mein Eindruck ist, dass für Auslandsnachrichten heute generell weniger Platz eingeräumt wird. Die Medien ziehen ihre Korrespondenten allerorts ab und lassen ihre Leute bestenfalls einfliegen, wenn es brennt. Früher gab es noch diese Kapazunder, die in den Ländern auch lebten, die Landessprache perfekt beherrschten, fundierte Analysen liefern konnten und ihre Netzwerke pflegten. Das waren noch richtige Institutionen wie der Schwede Richard Swartz, der in ganz Osteuropa zu Hause war, ein Bergwerk an Wissen.

Marion Kraske: Ich denke auch an Fritz Pleitgen, der von 1977 bis 1982 in Ostberlin für die ARD stationiert war. Für die Ostdeutschen, die Westfernsehen empfangen konnten, das Gesicht der Bundesrepublik.

B. C.-K.: Ich habe kürzlich das Buch eines britischen Journalisten in der Hand gehabt, in dem geschrieben steht, dass die USA die Zahl der ständigen TV-Auslandskorrespondenten rapide verringert hat. Für das ganze Riesenland war es eine lächerlich geringe Zahl unter 20. Von denen sitzt auch noch der größte Teil in London und die verarbeiten wiederum nur Material, das ihnen die Spezialagenturen liefern. Das heißt, dass die Informationen aus Europa für die USA mittlerweile so selektiert sind, dass wirklich eine Gefahr für die Medienvielfalt besteht. Sehr vieles dringt gar nicht mehr in die Redaktionen vor.
- Gibt es Probleme, Auslandsgeschichten in den Redaktionen unterzubekommen?
- B. C.-K.: Ich höre das von Kollegen. Themen wie Prostitution oder Mädchenhandel gehen leichter weg als analytische oder politische Geschichten.
- Das klingt absurd. Allerorts wird von Globalisierung gesprochen, aber die Medienberichterstattung – so scheint’s – orientiert sich national?
- M. K.: Ich glaube, das hat im Wesentlichen etwas mit 9/11 zu tun. Der mediale Fokus hat sich verschoben. Der globale Terror dominiert nach wie vor die Nachrichten. Wenn aus den osteuropäischen Ländern Berichte kommen, dann über die bereits genannten Themen oder aber über Komplexe, die mit dem Terror zu tun haben, etwa über die Wahhabiten-Bewegung in Bosnien. Der Blick auf die Welt ist zunehmend amerikanisiert und das hat auch einen großen Einfluss auf die Osteuropaberichterstattung.

B. C.-K.: Und dann gehen natürlich immer die Themen, die jeweils medial in Mode sind, derzeit sind das etwa Öl, Klimawandel und China. Das ist ja okay, dass solche Brennpunkte mal in den Vordergrund, mal in den Hindergrund rücken, aber insgesamt wird doch die Palette kleiner und der Tiefgang geringer.
- Hat das nicht auch politische Auswirkungen, wenn einzelne Länder, fundierte Analysen und wichtige Themen aus der globalen Berichterstattung ausgegrenzt werden? Der Kaukasuskonflikt kündigte sich doch bereits viel früher an.
- M. K.: Der Kaukasuskonflikt ist ein gutes Beispiel. Die Redaktionen eilen wie die Feuerwehr zum Brandherd. Eine fortgesetzte Berichterstattung über ein Land oder eine Region gibt es nur noch in Ausnahmefällen.

B. C.-K.: Die „Neue Zürcher Zeitung“ macht das noch. Dort werden noch Artikel über obskure Länder publiziert. Ich finde das sympathisch, aber es ist auch altmodisch. Wer hat sich schon vor dem Kaukasuskonflikt dafür interessiert, wer Osseten oder Abchasen sind?

M. K.: Der Kaukasuskonflikt schwelt ja schon seit Jahren. Wenn es dann wirklich crasht oder gar zu so einer militärischen Aktion kommt, müssen alle erst einmal auf der Landkarte nachschauen, wo Ossetien überhaupt liegt.
Als es im März 2004 im Kosovo zu Zusammenstößen zwischen Albanern und der serbischen Minderheit kam, war es ähnlich. Damals wunderte sich die Welt, warum nun der albanische Mob Serben und Roma angriff. Schwelende Konflikte bilden sich in den Medien nicht mehr ab, nur noch die akuten politischen Auseinandersetzungen wie heute in Afghanistan oder im Irak. Das sehe ich durchaus als Gefahr, denn vieles wäre von vornherein absehbar, auch für die politischen Entscheidungsträger, die sich ja letztlich auch über die Medien informieren.
- Orientieren sich die osteuropäischen Medien geografisch anders als die westlichen Medien? Ist ihr Fokus aufgrund der gemeinsamen Historie noch auf die alten Brüderländer gerichtet?
- B. C.-K.: Die tschechischen Medien sind beispielsweise sehr an den USA orientiert, ein Trend, der ja auch irgendwie seine politische Berechtigung hat. Nach der Wende interessierte man sich am allerwenigsten für die ehemaligen Brüderländer, man sah nach Paris und London statt nach Warschau und Budapest. Das ist bis heute so geblieben.
- Dominiert der Boulevard oder der Qualitätsjournalismus in den neuen EU-Ländern?
- B. C.-K.: Die Medienlage in den einzelnen Ländern ist unterschiedlich. In Polen kann sich die „Gazeta Wyborcza“, auf Deutsch „die Wahlzeitung“, die größte überregionale polnische Tageszeitung mit einer Auflage von knapp einer halben Million, mit westlichen Qualitätsmedien wie der „Süddeutschen Zeitung“ durchaus messen. Der Gewerkschaft Solidarność wurde damals zugestanden, zu den ersten demokratischen Wahlen in Polen eine Tageszeitung herauszugeben, daher der Name „Wahlzeitung“. In anderen osteuropäischen Ländern sieht die Medienlandschaft teilweise nicht so gut aus. Die WAZ, Kompagnon der „Kronen Zeitung“, hat in den vergangenen Jahren im großen Stil Zeitungen und Fernsehstationen auf dem Balkan aufgekauft, die alle erfolgreich nach dem Prinzip „Cash und Trash“ funktionieren.

M. K.: Die sozialistischen Mechanismen funktionieren meiner Erfahrung nach in den Ländern immer noch sehr gut. Da werden Interviews nicht freigegeben, Aussagen im Nachhinein wieder zurückgenommen. Das Potemkinsche Dorf präsentiert man nach außen immer noch gerne. Kritiker, kommen sie nun von außen oder von innen, werden wie zu Zeiten des Kommunismus mitunter immer noch als Verräter abgestempelt. Kollegen werden unter Druck gesetzt. Es gibt durchaus noch den Anruf aus dem Ministerium in der Redaktion. Und das 20 Jahre nach der Wende!
- Und wie war es vor der Wende, Frau Coudenhove-Kalergi?
- B. C.-K.: Ich habe angefangen über Osteuropa zu berichten, als ich noch für die „Arbeiter-Zeitung“ tätig war, eine Zeitung, die über wenig Geld verfügte. Damals musste ich kämpfen, um überhaupt in den Ostblock geschickt zu werden. Ich besaß ein klitzekleines Budget und war auf Mittelsleute angewiesen, die mir die Kontakte herstellten. Die offiziellen Quellen gaben ja kaum etwas her. Ich habe mich mit Regierungsvertretern getroffen, aber das konnte man sich im Grunde sparen. Wenn man – etwa in der DDR oder in der Tschechoslowakei – wissen wollte, wie das Leben ist, dann war es am besten, die sogenannte schöne Literatur zu lesen und mit den Kulturschaffenden Kontakt aufzunehmen. Die bildeten den Alltag und die Befindlichkeit der Menschen damals viel authentischer ab.
- Wurde man während der Recherchen nicht auf Schritt und Tritt observiert?
- B. C.-K.: Ich habe Ende der sechziger Jahre für den ORF die Dokumentation „Böhmen im Herbst“ gedreht, wobei ich die bleierne Stimmung im Land auffangen wollte. Das konnten wir natürlich nicht offiziell sagen. Die Vorbereitungsarbeiten waren immens. Man musste ja für alles eine Drehgenehmigung vorlegen. Uns begleitete ein Typ, der uns nicht von der Seite wich und uns ständig dazu bewegen wollte, doch den schönen Plattenbau zu filmen – und nicht die abgebröckelten Altbaufassaden. Wir versuchten freilich, auch Dissidenten vor der Kamera zu Wort kommen zu lassen.
- Brachte man die Dissidenten nicht dadurch in Gefahr?
- B. C.-K.: Wir haben die Dissidenten, besondern die jungen, immer noch einmal gefragt, ob sie auch wirklich vor unsere Kamera treten wollen. US-amerikanischen Kollegen wurde teilweise der Vorwurf gemacht, der Story wegen sinnbildlich über Leichen zu gehen. Ich habe mit Václav Havel ein Interview geführt, als er gerade aus dem Gefängnis gekommen war, das war kurz vor 1989, als er wieder einmal, diesmal neun Monate, eine Haft absitzen musste. Er hatte die Auflage, keinen westlichen Medien Interviews zu geben. Er tat es trotzdem. Er wusste, was er tat.
- Das war kurz vor der Wende. Aber ging es immer glimpflich für Ihre Informanten und Interviewpartner aus?
- B. C.-K.: Ich hoffe, ja. Für ein Treffen mit einem Dissidenten mussten wir einmal unserem offiziellen Begleiter entkommen. Das war abenteuerlich. Wir führten das Interview in der Nacht auf dem Vyšehrader Friedhof hinter einem Grabstein. Danach gab es einen fürchterlichen Ärger. Ich bekam die folgenden acht Jahre keine Einreisebewilligung in die Tschechoslowakei. Ich habe mir die Geheimdienstakten über mich nicht angeschaut, aber ein Freund hat mir seine Stasi-Akte geschickt und gezeigt, was darin über mich stand.
- Was hatte der Geheimdienst über Sie vermerkt?
- B. C.-K.: Man warf mir vor, die Güter meiner Familie wieder zurückzufordern, was natürlich jedweder Grundlage entbehrte. Albern. Das meiste stimmte einfach nicht. Solche geheimdienstlichen Vermerke haben nun einmal dazugehört. In der DDR hat die Stasi immer wieder versucht, mir ein Bein zu stellen, indem sie bei mir vorstellig wurde, ob ich denn nicht eine Analyse über das Land schreiben wolle. Allein durch eine solche Anfrage kam man schon in die Akten rein. Kollegen warnten mich, ich solle um Gottes willen nichts Schriftliches aus der Hand geben, sonst würde man mir daraus sofort einen Strick drehen. An diesen Rat hielt ich mich.
- Stimmt es, dass Sie einmal sinngemäß gesagt haben: „In den Osten darf man nur politisch Linke schicken, das sind die schärferen Kritiker“?
- B. C.-K.: Das habe nicht ich, sondern der ehemalige ORF-Intendant Gerd Bacher gesagt, ein großer Kommunistenfresser. Er hatte mich Anfang der siebziger Jahre für die Osteuroparedaktion des ORF engagiert. Ich habe ihm gesagt, ich sei aber mit einem Mitglied des Politbüros der KPÖ verheiratet. Gerd Bacher antwortete nur: „Das ist gut so!“ Bei meiner Arbeit war die private Verbindung zu einem Reformkommunisten, wie es mein Mann war. natürlich eher von Nachteil. Davon wusste auch kaum jemand im Osten, bestenfalls vielleicht die Geheimdienste.
- War der ORF bei der Osteuropaberichterstattung überdurchschnittlich engagiert?
- B. C.-K.: In meiner Zeit in der Osteuroparedaktion des ORF vor der Wende tat sich politisch in den Ländern oft nicht besonders viel. Mich interessierte eher das Leben in den Ländern, die so unmittelbar an Österreich angrenzten, unabhängig vom Regime. Der ORF war damals auch allen Vorschlägen gegenüber sehr offen.

M. K.: Wenn dann etwas passierte, war es bestimmt ein unglaublicher Vorteil, Leute in der Redaktion sitzen zu haben, die sich in den Ländern schon auskannten.

B. C.-K.: Richtig. Kurz bevor die Solidarnośćbewegung Ende der Sechziger ihren Lauf nahm, war ich in Polen und traf Adam Michnik, der ja viele Jahre im Gefängnis saß. Er verriet mir, dass sie jetzt freie Gewerkschaften durchzusetzen gedächten. Ausgerechnet das, dachte ich mir, das werden die nie zulassen. Wenig später kam eine Meldung beim ORF rein – mit Telex, das war eine Art Papierstreifen – und ich las: „Streik in der Danziger Werft – eine der Forderungen: freie Gewerkschaften!“
Ich fuhr sofort los. Wir waren unter den Ersten von der Auslandspresse und ich kannte dort schon einige Leute. Unsere Radiogeschichten sind dann im ganzen deutschen Sprachraum nachgespielt worden. Daraufhin kam Gerd Bacher auf die Idee, eine Osteuroparedaktion im ORF zu gründen.
- Gab es Quellen aus den Ostblockländern, auf die man im Westen regelmäßig zurückgreifen konnte?
- B. C.-K.: Gute Informanten waren die Emigranten, von denen nach 1968 viele in Wien lebten. Eine ganz wichtige Quelle war das „Radio Free Europe“. Die hatten ihre Leute vor Ort, sie verfolgten die Medienberichterstattung in den Ländern intensiv und hatten beispielsweise Wirtschaftszahlen parat, an die wir nie rangekommen wären. Ihre sogenannten Research-Materialien waren eine unverzichtbare Quelle.
- Da hat man es heute in Zeiten des Internets schon leichter, oder?
- M. K.: Die offiziellen Quellen der Regierungen kann man heute größtenteils immer noch nicht verwenden, weil die ehemaligen Ostblockstaaten und die Länder Ex-Jugoslawiens mitunter dazu neigen, sich ihr Land schönzureden. Gute Quellen, auf die wir Journalisten zurückgreifen können, sind oft die kritischen NGOs vor Ort, wie das Helsinki-Komitee für Menschenrechte, Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa, Institutionen, die dort am Aufbau der Zivilgesellschaften beteiligt sind. Sie sind verlässliche Quellen, weil sie oft in Opposition zu dem stehen, was dort offiziell politisch passiert.
- Beschönen die Regierungen nicht auch im Westen?
- M. K.: Mein Eindruck ist, ja. Auch in Wien habe ich diese Erfahrung während meiner Recherchen gemacht. Wenn man etwa beim Innenministerium anruft und offizielle Zahlen über Islamisten haben möchte, bekommt man keine Antwort, obwohl Staatsanwälte und Polizei in Bosnien davor warnen, dass radikales Gedankengut aus Wien nach Bosnien exportiert würde. In Österreich stößt man als Journalist teilweise auf Widerstände, die man in einer westlichen Demokratie so nicht erwarten würde.
- Berichten österreichische und deutsche Medien anders über Osteuropa?
- M. K.: Auf jeden Fall. Die österreichischen Medien berichten ausführlicher und regelmäßiger aus Ost- und Südosteuropa als die deutschen. Das liegt an den familiären Verknüpfungen, die es in Österreich immer noch gibt; an dem gemeinsamen k. u. k.-Erbe, aber natürlich auch an den neuen wirtschaftlichen Vernetzungen. Es gibt in Österreich ein vitales wirtschaftliches Interesse an dieser Region. Und man ist geografisch schlicht und einfach näher dran.
Marion Kraske, geboren 1969, hat Politikwissenschaft, Wirtschaftspolitik und Slawistik studiert. Nach einem Volontariat bei der Deutschen Presse-Agentur arbeitete sie als Redakteurin bei der „Tagesschau“ in der ARD. 2002 wechselte sie zu „Spiegel online“, ein Jahr später in die Auslandsredaktion des deutschen Nachrichtenmagazins. Seit 2005 ist sie für den „Spiegel“ Korrespondentin in Wien, wo sie unter anderem für Südosteuropa zuständig ist.

Barbara Coudenhove-Kalergi wurde 1932 in Prag geboren und lebt seit ihrer Vertreibung aus der Heimat im Jahr 1945 in Wien. Sie schrieb als Journalistin für die „Arbeiter-Zeitung“, „Die Presse“, „Neues Österreich“, „Kurier“ und „profil“. Ab 1975 arbeitete sie in der Osteuroparedaktion des ORF, für den sie von 1991 bis 1995 als Korrespondentin aus Prag berichtete. Dem breiteren österreichischen Publikum war sie bereits durch ihre Reportagen, vor allem aus Polen und der Tschechoslowakei, im Österreichischen Rundfunk bekannt.
Heute schreibt sie als freie Journalistin für verschiedene tschechische und österreichische Zeitungen (u. a. „Der Standard“) und ist Herausgeberin mehrerer Bücher mit Texten zur Geschichte und Gegenwart der Länder Osteuropas. Von Václav Havel wurde sie 2001 mit dem Orden von Tomáš Garrigue Masaryk ausgezeichnet. Sie ist Mitbegründerin der Bürgerinitiative „Land der Menschen“, die sich für ein besseres Zusammenleben von In- und Ausländern einsetzt.

Buchtipp:
Barbara Coudenhove-Kalergi, Oliver Rathkolb (Hrsg.), „Die Beneš-Dekrete“, Czernin Verlag, Wien 2002
Barbara Coudenhove-Kalergi (Hrsg.), „Meine Wurzeln sind anderswo (Österreichische Identitäten)“ , Czernin Verlag, Wien 2001


Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa, September 2008
Report online - Czernin Verlag: Barbara Coudenhove-Kalergi - Spiegel online - orf.at -