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Die Architekten Willi Frötscher und Christian Lichtenwagner haben seit 1996 ein gemeinsames Büros – das mit dem gewonnen Wettbewerb „Europan 4“ begründet wurde. Nach einer langen Wartezeit, wurde dieses Europan-Projekt – ein Stadtteilzentrum im Olympischen Dorf in Innsbruck - jetzt doch gebaut. Auch ihre Devise „maximal“ legten die Beiden damals fest. Ihre Architektur, ob beim Theaterhaus für Kinder im Museumsquartier Wien oder eben beim Stadtteilzentrum will Großzügigkeit und Normalität. Ein Gespräch über Religion, Mystifikation des Expertentums, die Eindeutigkeit der Form und Räume der Kindheit...

Religiosität in Form und Wahrnehmung

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Willi Frötscher, Christian Lichtenwagner:
- Fangen wir doch mit einem Nicht-Architektur-Thema an. Über was wollt ihr sprechen?
- LC: Wir könnten über Gott und die Welt, oder den Papst reden...
- Interessant. Seid ihr katholisch?
- LC: Nun, ein Interview ist immer auch eine Art Glaubensbekenntnis. Die These lautet, je mehr man sich distanziert, je weiter man sich vom katholischen Hintergrund entfernt, desto mehr wird eigentlich die Heftigkeit und die Nachhaltigkeit einer katholischen Prägung spürbar.
- Jetzt wird es doch „architektonisch“. Die Architektur als Religionsausübung. Gibt es da Verbindungen?
- LC: In der Tat war das erste Bauwerk, das ich gemacht habe, eine kleine Kapelle, eigentlich mehr ein begehbarer Bildstock, im Auftrag meines Vaters. Ich war am Anfang meines Architekturstudiums und er wollte offenbar seinem Sohn eine Aufgabe stellen, vielleicht aus spirituellen Gründen oder auch nur um zu sehen, ob er schon was gelernt hat. Diese Aufgabe stellte sich mir in einer Zeit, in der ich mich schon von Kirche und Religiosität entfernt hatte. Der Konflikt war also offensichtlich. Irgendwie bin ich dann auf Walter Pichler gestoßen und seinen Umgang mit elementaren Bauformen. Das war neu für mich und gleichzeitig vertraut. Seine Gebäude in St. Martin schienen so viel mit den eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen zu tun zu haben, ein sehr intensives Erlebnis und zu dieser Zeit für mich ein Weg diesen Widerspruch in der gestellten Aufgabe aufzulösen.
- Wenn man über „Räume der Kindheit“ – wie ihr es einmal formuliert habt – nachdenkt, fallen einem doch sicher viele Kirchen ein – oder Räume die Respekt, Sakralität oder auch Atmosphäre vermitteln. Ist da ein Raum, den man als Architekt im weitesten Sinne auch anstrebt?
- LC: Wer mit wenig materiellem Luxus aber mit Raum im Überfluss aufwächst, für den bekommt der Begriff Großzügigkeit eine ganz bestimmte, nämlich räumliche Bedeutung. Das ist dann nicht unbedingt eine Frage der absoluten Größe, vielmehr ein Maximieren des zur Verfügung stehenden Potentials.
WF: …oder auch mit der Unmittelbarkeit des Handwerks, der täglichen Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen Machen der Dinge: diese Erfahrung schafft dann auch die notwendige Glaubwürdigkeit und Kompetenz auf der Baustelle, ohne die man ein Konzept nicht umsetzen kann.
LC: Wenn man davon ausgeht dass wir alle aus der eigenen Geschichte und den gemachten Erfahrungen schöpfen, dann sind das diese Räume der Kindheit. Das sind dann oft auch ganz profane Orte, die durch ihre spezielle Stimmung oder ihre Funktion in der kindlichen Wahrnehmung eine besondere Stellung einnehmen. Bei mir zuhause gab es zum Beispiel einen Getreideboden. Ein großer Raum mit fünf Fensteröffnungen, jedoch ohne Fenster, als Teil unseres Hauses, aber längst nicht mehr in seiner ursprünglichen Funktion genutzt. Ich habe dann später begonnen, diesen saalartigen Raum in Besitz zu nehmen und mir einzurichten. Das war der erste Moment, in dem man sich mit Funktion beschäftigt und mit den Bedingungen eines Raumes.
- Ist es doch diese selbstverständliche Präsenz von der Zumthor spricht?
- WF: Diese selbstverständliche Präsenz, die berührt, gibt es auch in anderen Bereichen, die nichts mit Sakralem zu tun haben, sondern im ganz Alltäglichen angesiedelt sind. Ein extremes Beispiel wie Intensität der Raumerfahrung auch über leichte Verschiebung der Wahrnehmung funktioniert, ist - wenn auch aus dem Bereich der Kunst - das „Haus ur “ von Gregor Schneider. Er hat in einer obsessiven Art begonnen, gewöhnliche Räume in ein gewöhnliches Haus zu bauen. Für die Biennale hat er dann große Teile davon in den deutschen Pavillon eingefügt und erweitert. Hier wurden dann also auch die Zwischenräume erlebbar. Der Besucher dieses Gebäudes ist vollkommen irritiert. Er sieht nur vertraute Elemente eines gewöhnlichen Einfamilienhauses, vielleicht aus den 50er Jahren. Gleichzeitig macht sich eine unheimliche, fast physische Beklemmung breit, die nicht zuordenbar und begreifbar ist. Normalität bis zur Transzendenz, sozusagen. Ein Phänomen, das man vielleicht auch bei Adalbert Stifter findet.
- Mit artifiziellem Raum-Erlebnis tut sich die Kunst wesentlich leichter. Eure Architektur, oder Architektur im Allgemeinen hat dann dennoch eine Funktion zu erfüllen. Darf man mit Architektur überhaupt irritieren?
- LC: Uns interessieren auch die schon erwähnten alltäglichen Räume. Hier geht es um die Erfahrung mit vertrauten, alltäglichen Elementen und Raumsituationen auf eine viel nachdrücklichere Art und Weise ein Raumerlebnis zu schaffen, das über die vordergründige Gestaltung, irgend ein tolles Design oder eine spektakuläre Form hinaus geht. Irritation ist natürlich ein legitimes Mittel, sie muss aber nicht mit dem Holzhammer daherkommen.
WF: Im Grunde ist es doch so: die Intuition schöpft aus unseren frühen Erfahrungen. Später bauen wir diese Vorstellungen weiter aus und variieren sie. Der Rest ist Konzentration und harte Arbeit.
- Sagen wir es so, es ist einfach sehr viele möglich und trotzdem so vieles ähnlich. In welchem Rahmen bewegt ihr euch da?
- WF: Beim Theaterhaus für junges Publikum, der letzten noch freien Ecke im MQ, haben wir uns die Nutzbarkeit dieser historischen, gewölbten Räume lange überlegt. Der erste Reflex ist oft den historischen Kontext auszublenden und seine eigene Architekturposition zu manifestieren. Man möchte doch auch mit seiner eigenen Arbeit präsent sein. Wir haben uns dann angesehen wie andere mit den Räumen im Altbau umgegangen sind. Im Quartier 21 zum Beispiel. Zwischen den Positionen „Haus im Haus“, Alt gegen Neu oder des Schaffens neuer Bedeutungsoberflächen haben wir uns dann dafür entschieden die physische Präsenz des Vorhandenen zu akzeptieren und damit weiter zu arbeiten. Es wäre verrückt sich diese Qualität nicht zunutze zu machen.
- Dann sind wir beim Thema Denkmalschutz und bei einer so unterschätzten Architekturdisziplin in Wien, was man an vielen Gebäuden sieht...
- LC: Wahrscheinlich kann man 90 Prozent der Beispiele in Wien zumindest als wenig gelungen bezeichnen. Der Denkmalschutz wird den selbsternannten Experten überlassen.
Im Prinzip ist es ganz einfach: Es gibt ein Denkmalschutzgesetz das sagt: Baudenkmäler, die als solche anerkannt sind weder zerstört noch verändert werden dürfen. Für die Einhaltung und Exekution dieses Gesetzte ist das BDA verantwortlich. Immerhin eine klare Aussage. Das BDA muss also so reagieren, wie wir es kennen. Die Aufgabe des Architekten muss es aber sein, mit einer künstlerischen Imagination in einen solchen Raum zu gehen.
- Nun habt ihr das Q 21 erwähnt. Dahinter liegt das Museumsquartier, das so gut wie alle Problematiken eines Wiener Denkmalschutzes durchgemacht hat.
- LC: Das MQ ist ein Beispiel für eine Art der Auseinandersetzung in Sachen Denkmalschutz, wo so ziemlich alles schief gelaufen ist, was nur irgend möglich ist. Das Problem lag hier wahrscheinlich zunächst auf einer anderen –nämlich politischen - Ebene. Bei dem öffentlichen und medialen Interesse, das das Projekt hatte, der aufgeheizten Stimmung, die die Planung begleitete, konnte das Denkmalamt fast nicht mehr anders handeln
Man hätte in einer direkten Auseinandersetzung mit allen Beteiligten, auch mit dem Denkmalamt, viel besser kommunizieren müssen. Und ich glaube, es wäre viel mehr möglich gewesen. Zu dem Zeitpunkt, als schon begonnen wurde, zu planen, hat sich das Denkmalamt eingebunkert. In dieser Position der vollkommenen Verharrung auf einer gesetzlichen Lage, hat niemand mehr gewagt und auch nicht mehr geschafft diese Patt-Situation zu durchschlagen.
Alle funktionalen, stadträumlichen Probleme wurden nachgeordnet. Die große Lösung in so einer Konstellation ist zuwenig diskutiert und zu wenig kommuniziert worden – und zwar sowohl gegenüber dem Denkmalamt als auch gegenüber der Öffentlichkeit. Es hätte einfach ein Bewusstsein geschaffen werden müssen, was diese Art von Veränderungen insgesamt bringt, und das war zu diesem Zeitpunkt der überhitzten Debatte nicht mehr möglich.
- Parallel (OFRUM) spricht ein Akademiestudent von seinem Projekt „Friendly Fire“, wo er vorschlägt, alle Architekturdenkmäler zu vernichten. Was haltet ihr davon?
- WF: Diese Aussage ist „radical chic“, was man einem jungen Studenten vielleicht zugestehen wird. Es klingt als Forderung spektakulär, es fehlt aber irgendwie der gesellschaftspolitische Hintergrund für eine solche Haltung und ist daher unglaubwürdig. Man muss sich selbstverständlich auch von Dingen verabschieden können. Aber wir leben auch gerne in Räumen, die wir so gar nicht mehr schaffen können. Wir bauen heute anders, nicht besser nicht schlechter.
- Wie ist das mit euren Kinder, was glauben die was ihr macht...
- WF: Meine Tochter ist noch zu klein um sich eine Vorstellung zu machen...
LC:...und meine Söhne glauben wahrscheinlich, das ist fad, was ich mache...
- Und ist es das?
- LC: Nein, im Gegenteil, es ist ein wunderbarer Beruf. Wirklich schwierig zu verstehen für sie ist aber, warum wir so viel arbeiten und trotzdem mit einem alten klapprigen Auto herumfahren.
- Was würde denn in eurer gemeinsamen Biografie stehen?
- WF: Bei unserem ersten gemeinsamen Projekt, einem Europan Wettbewerb, mussten wir für unseren Entwurf einen Titel erfinden. Wir haben ihn dann „max.“ genannt. Und das hat einen durchaus programmatischen Charakter. „max.“ steht für die Maximierung des vorhandenen Potentials. Großzügigkeit als eine Grundhaltung und die Umsetzung dieser Grundhaltung im Architektenalltag. Das Durchtragen einer Idee bis zur Fertigstellung des Gebäudes, die handwerkliche Umsetzung mit den Ausführenden,. die Kommunikation mit den Bauherrn, Behörden, Fachplanern und Mitarbeitern gehören genauso zu unserem Selbstverständnis. Wir sehen uns nicht als Formenerfinder. Uns interessieren vor allem die Eindeutigkeit der Form und die Vieldeutigkeit in der Wahrnehmung.
FROETSCHER LICHTENWAGNER
ARCHITEKTEN MAG. ARCH. WILLI FROETSCHER UND
DI CHRISTIAN LICHTENWAGNER WEYRINGERGASSE 36/2
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